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Ein ganz gewöhnlicher Freitag? – Prostitution im Wiesbadener „Untergrund“

An den meisten anderen Tagen bewege ich mich überwiegend in meinem eigenen Kiez in Wiesbaden: Hier wohne ich, hier arbeite ich, hier gehe ich aus, hier gibt es (fast) alles, was man halt so braucht. Freitage sind (derzeit) jedoch anders. Denn freitags fahre ich immer zur Uni nach Mainz und freitags mache ich Einkäufe für meine Arbeit, überwiegend in den Wiesbadener Stadtteilen Biebrich und Kastel.

Durch meine Vor-Ort-Recherchen zu Prostitution in Wiesbaden weiß ich ziemlich genau, wo Prostitution in meiner Stadt stattfindet. Durch Lektüre in so genannten Freierforen weiß ich das leider besser, als ich es manchmal wissen will. Viele schlaflose oder unruhige Nächte habe ich deswegen schon verbracht. Wütend und traurig zugleich macht es mich, dass die Chancen etwas dagegen zu tun, nicht gleich Null, aber doch sehr eingeschränkt sind.

Natürlich kann auch ich nicht durch Wände sehen, aber durch meine Recherchen sehe ich dennoch mehr als andere. Zumindest vor meinem geistigen Auge. Dies wird mir immer besonders freitags bewusst, denn insbesondere auf der dann regelmäßig zurückgelegten Strecke liegen zahlreiche der ca. 80 Prostitutionsstätten in Wiesbaden. Nach außen eindeutig als solche erkennbar, sind jedoch nur zwei.

Ich möchte euch mitnehmen auf eine für mich an diesem Wochentag gewöhnliche Rundfahrt durch Wiesbaden:

****Inhaltswarnung****

Von meinem geliebten Bergkirchenviertel aus laufe ich morgens früh in die Schwalbacher Straße, um dort in die Linie 6 einzusteigen.

Ich fahre vorbei an dem früheren „Massagestudio“ „Ruhepunkt“. Der Wiesbadener Standort wurde aufgegeben, „unsere Girls“ sind jetzt in Karlsruhe und Darmstadt zu finden. Auch „Moonnight Wellness“ gibt es offenbar inzwischen glücklicherweise nicht mehr.

Überhaupt scheint „Massage“ in diesem Bereich der Stadt gerne angesiedelt zu werden: Links geht es ab in die Faulbrunnenstraße, wo sich der Standort des “HM Massage Center” befindet. Im Internet wird an den beiden Standorten Frankfurt und Wiesbaden geworben mit “Entspannung, Stressbewältigung, Balance und Koordination, Energie schöpfen, Immunsystem stärken, Lebensjahre verlängern”, oder kurz: „Wohltat für Körper, Geist, und Seele“. In einschlägigen Inseraten wird das Angebot deutlicher: „GV, Franz, Franz beidseitig, Deep Throat“ heißt es da unter anderem.

Ein Freier beschreibt sein „Menü“ hier so:

„hatte mal wieder Luft auf chinesisch […] die letzten 8 mal kostet es 45 Euro …. diese Dame kam mir gleich mal mit 50 Euro. Es geht mir nicht um die 5 Euro; aber bei dieser Person merkte ich die Geldgier aus den Augen leuchten. […] Ich sagte noch, sie soll langsamer machen, aber nach kurzer Zeit spritzte ich ab. […] [ich] war ziemlich geladen …. das war das erste Mal in diesem Laden, das es zu so einer Abzocke kam. Emily vor 2 Wochen war eine klare 1+ …. diese Figur eine klare 6- .
Hier kam es mir vor, das die Dame in die eigene Tasche gearbeitet hat …. es war das erste Mal, das die “Bestellung” nicht ins Tablet eingetragen wurde ….. […] 50 Euro für schlechtes Wichsen ….. das geht gar nicht.“

Mein Blick fällt auf die Kleine Schwalbacher Straße. Hier befand sich früher das Wiesbadener Rotlichtviertel. Der kurdisch-syrische Profi-Catcher Mustafa Shikhane war hier in der Nummer 10 Zuhälter im „Crazy Sexy“. Am 18. Juli 1981 erschoss ihn ein Rivale mit dem Spitznamen „Zigeuner-Klaus“ mit vier Kopfschüssen in der Sauna des Etablissements, angeblich aus Notwehr. Der heute 66 Jahre alte Klaus G. wurde 2013 zum Schöffen beim Wiesbadener Amtsgericht ernannt. Er ist nach wie vor „Wirtschafter“ in einem Wiesbadener Bordell. Der Amtsrichter Wolf, Vorsitzender des Schöffenwahlausschuss, sagte seinerzeit:

“Millionen Männer besuchen regelmäßig ein Freudenhaus. Warum soll dann ein Bordellchef nicht Schöffe werden?”

Der Bus fährt weiter und kreuzt die Rheinstraße. Hier stehen den Herrschaften regelmäßig sechs verschiedene Frauen zur Verfügung, bei E-N-A (Einzig nicht artig – WELCOME TO MEN’S PARADISE). Geworben wird mit „Champagner Lounge“, „Kaminzimmer“ und „separatem VIP-Bereich“. Gewählt werden kann u.a. zwischen Tantra-Massage, BodyToBody-Massage, Analmassage oder auch Natursekt aktiv.

Ein Freier schreibt:

„ENA ist für mich auch seit über zehn Jahren die beste Adresse in Wiesbaden.“

Es handelt sich offenbar um ein einträchtiges Geschäft, und Traditionen wollen gepflegt werden.

Der Bus fährt weiter in die Oranienstraße.

Linkerhand an der Albrechtstraße vorbei. Bei „Kaiserblume Massagestudio“ wird „ein unvergessliches Abenteuer voller erotischer Träume und Phantasien“ mit „wöchentlich wechselnde Damen“ versprochen.

Ein Freier jedoch beschwert sich:

„was soll ich sagen? KEINE DER BEIDEN Mädels, die angeblich z. Zt. dort werkeln sollen, war anzutreffen!!! Nur eine ältere ziemlich verbraucht aussehende namens Sasa, und ein wandelnder Kubikmeter names Linda. Hab mir dann nur rasch von Sasa für nen Fuffi einen tröten lassen (was auch nicht berauschend war), und bin wieder weg.“

In der Oranienstraße fährt der Bus vorbei am „City Massagestudio“. Beworben werden an dieser Adresse auf der Homepage derzeit 16 Frauen. In einem Inserat heißt es „ES SIND IMMER 7-8 DAMEN ANWESEND !!!“ Wir befinden uns übrigens immer noch im Sperrgebiet, in dem Prostitution eigentlich gar nicht erlaubt ist. Laut Ordnungsbehörde darf Prostitution hier nur privat nachgegangen werden, also an der Adresse, an der die Frauen auch gemeldet sind und gleichzeitig wohnen und „arbeiten“. Zahlreiche Hinweise, dass dies hier (und andernorts) ganz offensichtlich nicht der Fall ist, führten bisher zu keinerlei Konsequenzen. Im gleichen Haus findet sich ein weiteres Wohnungsbordell mit den Namen „Lilien Girls“.

Ein Freier berichtet:

„Sie war bemüht süss. Sie wollte mich diesmal NICHT küssen. (hey, komm ich sehe ziemlich gut aus.) Sie war auch nicht glatt rasiert und wurde nicht so nass. […] Ich durfte sie nicht fingern. Sie verstand heute nicht soviel wie beim letzten mal. Und Sie wirkte ideen-/Initiativelos, sodass ich sie dann einfach die ganze Zeit zu Allem dirigiert habe. Ich habe sie also benutzt und sie hat folglich oft den Kopf weggedreht. […] Am Ende habe ich es mir mit einer Titte im Mund selber gemacht.“

Der Bus fährt weiter am Landeshaus vorbei, passiert den Bahnhof und biegt nach rechts in die Mainzer Straße ein:

Dort befindet sich heute das „Crazy Sexy“, ein klassisches so genanntes „Laufhaus“. Dieses gibt es sei 1968, die Kette betreibt Häuser in Wiesbaden, Frankfurt und Krefeld.

In einem Forum heißt es:

„Da ich das Crazy Sexy aber schon lange kenne, wäre ich wahrscheinlich auch wieder gegangen. Die dunkelhäutigen Mäuse haben/hatten ihre eigene Etage, nicht alle sind solche optischen Volltreffer und einige Damen scheinen auch auf den Zimmern zu kochen; kurz, das Ambiente ist zum davonlaufen.. Auf dem immerhin sichtgeschützten Parkplatz steht teilweise ein Volk herum, dass Du Angst hast, hier ohne osteuropäische Sprachkenntnisse nicht mehr heraus zu kommen und diese seltsamen Plastikstreifentüten erinnern eher an Schlachthöfe…“

Etwas weiter auf der linken Seite befindet sich eine Flüchtlings-Gemeinschaftsunterkunft. Dieses Gebäude wurde früher mal als Hotel und auch als Bordell genutzt. Den Machtkampf gegen Willi Schütz (Crazy Sexy) hat der damalige Betreiber seinerzeit jedoch verloren und musste schließen.

Noch ein Stück weiter, immer noch Mainzer Straße, hinter dem Kreisel befindet sich auf der rechten Seite ein weiteres Laufhaus mit angeschlossener Table-Dance-Bar, die „Rote Meile“. In unmittelbarer Nähe befand sich früher einmal der Wiesbadener Straßenstrich – heute ist dieser verwaist.

Der Bus biegt links ab in die Kasteler Straße.

Linkerhand befindet sich eine der ersten beiden Terminwohnungen hier:

„Die gute ist ne etwa 50-55 jährige Ukrainerin. Keine Ahnung ob es heute auch noch so ist aber als ich sie die ersten paar Male besucht hab, hat sie beim GV noch auf nem Gummi bestanden wenn ich versucht hab blank einzulochen. Beim vierten Besuch hat sie ihre Möse an meinem blanken Schwanz gerieben, während sie auf mir saß, und wir geknutscht haben, und dann gefragt ob mit oder ohne. Seit dem hab ich sie unzählige Male besamt. Sie hat leider im Lauf der Jahre ordentlich an Bauchumfang zugelegt aber sie ist die Einzige bei der ich in 30 min. zwei mal abspritzen kann weil so so einen geilen Grip in der (mittlerweile behaarten) Muschi hat bzw. mit ihren Muskeln umzugehen weiß.“

Etwas weiter in der gleichen Straße gibt es eine in der Szene sehr bekannte „AO“-Adresse“ (AO = alles ohne = ohne Kondom). Neben langen Diskussionen darüber, wer denn nun die Schuld trägt, wenn man sich dabei ‘ne Tripper-Erkrankung zuzieht, spricht folgender Beitrag Bände über die Haltung des dortigen Publikums:

„also ich persönlich finde ihre Werbung eine Frechheit.. Hier sind alle Register gezogen worden die photoshop hergibt.Wenn man bedenkt das die Frau sicherlich knappe 60 ist, dann kann man sagen das sie agil ist.
Die Performance ist sehr grenzwertig. Das mechanische Gestöhne nervt und hört nicht mal dann auf wenn man ihr den Schwanz in die Pornofresse rammt. Wer Bock auf eine Granny hat ist hier richtig, MILF ist die Frau schon seit mindestens 15 Jahren nicht mehr.“

Der Bus fährt über die Kreuzung und fährt die Wiesbadener Landstraße entlang, die dann irgendwann nur noch Wiesbadener Straße heißt und dort sehr bald am „FKK Caribic“ vorbei.

„Erst nutze ich die baulichen Wellnessmöglichkeiten und gegen 17 Uhr stärkte ich mich beim Barbecue. Nach kurzer Verdauungspause hatte ich Lust auf Nachtisch. […] Auf’m Lotterbettchen erstmal die niedliche Teenypussy durchgeschleckt, was ihr sichtlich gefiel, dann war ich an der Reihe, allerdings mit Gummi […] für Zungenküsse müsste ich auch ein Extra-Obolus […] Eingelocht in der Reiterstellung, wow was für eine enge Teenypussy, zwar nicht bis zum Anschlag (größenbedingt) dafür mit einer hohen Frequenz, klasse Feeling und Anblick.“

Nur wenige Meter weiter ein unbebautes Grundstück. Hier das erste Mal auf dieser Fahrt ein kleines und auch ein wenig zufriedenes Lächeln auf meinem Gesicht, denn hätte es im letzten Jahr nicht unseren Protest und vor allem eine Initiative der AnwohnerInnen gegeben, dann stünde hier heute ein exklusiver Gentleman`s Club. Im Frauenausschuss hatte damals die frauenpolitische Sprecherin einer Regierungsfraktion gesagt, jede Stadt „benötige eine bestimmte Menge an Sex“.

Als wäre Prostitution Sex und als hätten wir nicht wahrlich schon genug davon.

Ein paar Meter weiter rechts dann wieder ein kleiner Grund zur Freude. Bei meinen Recherchen war ich schnell auf das so genannte „Fox Haus“ gestoßen und insbesondere die Beiträge der Freierforen zu dieser Adresse hatten mich aufgeschreckt. Nach der Thematisierung in städtischen Gremien wurde diese Adresse wegen Anzeichen auf Zwangsprostitution geschlossen. Der Wermutstropfenfolgt zugleich: Die gleichen Frauen wurden lediglich an andere Adressen in Wiebaden, Ginsheim-Gustavsburg und auch ein paar Straßen weiter in Kastel, verschoben.

Wie sehr sich die tollen Freier übrigens um Zwangsverhältnisse scheren und Empathie wahrscheinlich eher ein Fremdwort ist, kann man an diesem Beispiel deutlich sehen.

Folgende Konversation spielte sich u.a. ab:

„Fox Haus ist ja bekanntlich zu“ – „Hi, und warum? Ist ja der Hammer!“ – „keine ahnung frag den zuhälter“

Oder

„Die Mädels tun mir echt leid“ – „Dann geh doch nicht hin…“ – „dem Betreiber wünsche ich die Scheisse an den Hals“ – „Warum? Weil er für die Bruchbude zu hohe Mieten verlangt? Wer würde denn sonst an solche Gestalten vermieten? […] Er zwingt die Mädels ja nicht sich dort ein zu mieten und die Futt hin zu halten. Das machen deren „Freunde“ aus de Heimat“

Am Ende der Straße überquert der Bus die Theodor-Heuss-Brücke und wir erreichen Mainz. In Mainz kenne ich mich bezüglich der Prostitutionsadressen nicht aus. Auf dem Weg zur Uni passieren wir jedoch noch mindestens am Hauptbahnhof das „Crazy Mainz“ (zwischenzeitlich mal wegen Steuerhinterziehung und Menschenhandels-Verdacht in den Schlagzeilen ) und den Strip-Club „Moulin Rouge“. Dort wird BodyToBody-Massage offensiv angeboten, Freier berichten von 50% der TänzerInnen, die darüber auch für andere sexuelle Handlungen zur Verfügung stehen.

Nach der Vorlesung entscheide ich mich, den Zug zurück nach Wiesbaden zu nehmen. Nochmal möchte ich mir den emotionalen Stress nicht geben an all diesen Adressen vorbei zu müssen.

Dummerweise muss ich nochmal mit dem Auto los: Einkäufe erledigen für den Laden. Los geht’s über die Röderstraße und von dort in die Schwalbacher. Rechts fällt mein Blick in die Kastellstraße. Hier wurde 2007 eine polnische, prostituierte Frau, Jolanta L. im Alter von 40 Jahren ermordet – vermutlich weil sie ihre Einkünfte nicht als „Schutzgeld“ an einen Zuhälter abgeben wollte.

Über die Emser Straße und den Bismarckring geht es weiter auf den Kaiser-Friedrich-Ring. Hier im „Haus 42“ gibt es wiederum zwei Terminwohnungen (neu „Traum 18“, früher „Himmel Ladies“). Beide werben mit „wöchentlichem Wechsel“. Aber natürlich, sicherlich alles ganz „privat“, wie die Stadt doch immer so schön versichert.

In einem Forum kann man u. a. dies zu dieser Adresse lesen:

„Nun ja… ich “kaufe” eine durchaus hochwertige Dienstleistung, die einem bestimmten Standart erwarten lassen sollte. Wenn ich zu einem Bäcker gehe, erwarte ich das mein Brötchen einem Standart entspricht und nicht schon Tage in der Auslage liegt. Gibt mir der Bäcker, weil er mich mag, ein weiteres Brötchen zum probieren, dann handelt es sich um eine Leistung über das übliche Maß hinaus, die ich nicht erwarten kann. Das gleiche darf man von den hier anwesenden Dienstleisterinnen erwarten. GUTEN SERVICE!!! Und das unabhängig ob Quicky oder Urlaubsreise.“

Weiter unten biege ich in die Biebricher Allee ein. Linkerhand schaue ich in die Alexandrastraße. Seit November ist hierhin die „Massage Exclusiv“ umgezogen. Vielleicht weil es den Herrschaften am vorherigen Standort in Schierstein nicht anonym genug war:

„Es war Spätnachmittag, so dass die Büros mitarbeiterfrei waren – dass einem jemand über die Füße fällt, ist tagsüber ja in einigen Betrieben gewährleistet. Das macht mir nichts, wenn es sich um z. B. Reifenmonteure usw. handelt aber wenn mich Rechtsanwalts- oder Steuerbüromitarbeiterinnen “erwischen”, dann is das schon ein wenig peinlich […] Was mich damals gestört hat: die Chefin “schimpfte” mit den Damen lautstark in der Küche, irgendwas mit “so geht das nicht” usw. Na ja, so kann man wenigstens sicher sein, dass es dort ein strenges Regime herrscht! Immerhin!“

Über die Äppelallee geht es weiter in die Hagenauer Straße, einem meiner Einkaufsziele. In dieser Straße gibt es jedoch auch den „Treff Manu“.

„Im Anschluss sprach ich sie auf ihre Zurückhaltung an, sie war richtig durch den Wind, die Unlust, die Müdigkeit war ihr anzumerken.“

Auch beschreibt ein Sexkäufer über bewusste Überschreitungen von vorher definierten Grenzen:

„Anita hatte ich blank für umsonst.. […]! einmal auf den Arsch beim zweiten mal in ihr abgefeuert das fand sie dann gar nicht lustig!

Offenbar ist sichtlicher Unwille kein Grund für diese Herrn, es sein zu lassen oder Grenzen zu wahren, und auch nicht die zahlreichen nach ihm, die ihm online beipflichteten.

Auch mit dem Auto muss ich nun über die Wiesbadener Straße, erneut an den Adressen von heute früh vorbei. In Kastel geht es jetzt über die Anna-Birle-Straße in Richtung türkischer Großhändler. Hier sind „Lollipopp Gold“ und die „Lollipopp Exotic Lounge“ angesiedelt. Die vorher erwähnten „Lilien Girls“ werden über die gleiche Homepage beworben. Hier gehört „Gangbang“ und „Herrenrunde“ mit zum Programm. Wer bei den „Lollis“ nicht 100% zufrieden ist, bekommt sein Geld zurück, so die Werbung. Scheinbar (gut!) hat dieser Freier davon nichts gewusst

„In der Realität sieht sie aber doch recht schmuck aus, das Gesicht kommt den Fotos schon recht nahe. lediglich die Figur ist nicht wirklich so schlank wie auf den Bildern. Aber o. k. das nimmt man gerne hin, trotzdem ist sie noch süß genug und geht auch durchaus noch als Teenager durch. Mit dem Service ist es dann leider nicht so weit her. Küssen hatte ich vorher extra noch mal im Beisein der Managerin abgeklärt. Dies wurde von ihr dann auch eingehalten. Wobei es sich nicht um Zungenküsse handelte, sie machte eher den Mund auf und ließ mich meine Zunge in ihren Mund einführen. Aber o. k., das wäre nicht das Problem gewesen. Beim Blasen wird es da schon wesentlich unerfreulicher – reines monotones rauf und runter ohne Zungeneinsatz, nach kurzer Zeit gingen sie auf vollständigen Handbetrieb über. Da kann man sich lieber selber einen runter holen. Sie geht überhaupt nicht auf ihre Kunden ein. Keine Nähe wird zugelassen. nach einiger Zeit des Blasen uns fragt sie dann: ficken? O. k. was soll’s? Also Aufgummiert und sie setzt sich auf mich, reichlich Flutschi genommen und schiebt ihn sich hinein. Es beginnt ein monotones hin und her wackeln. Sie gibt sich noch nicht mal im Ansatz Mühe, etwas zu Schauspielern. Sie lässt einen deutlich spüren dass sie absolut kein Bock auf diese Tätigkeit hat. Ich habe noch kurz in die Missionarsstellung gewechselt und etwas in ihr herumgestochert. Dann habe ich die Tüte gefüllt und war ehrlich gesagt froh, dass es vorbei war. Ich hatte dummerweise eine Dreiviertelstunde für 100 € gebucht. Das Geld war mehr oder weniger verbrannt.“

Ich biege nach links ab in die Peter-Sander–Straße. Gleich auf der rechten Seite der Standort des „Erotica Queens“. Dieser Sexkäufer beschwert sich über die „Performance“ obwohl ihm gleich von Beginn klar war, dass die prostituierte Frau jetzt nicht wirklich begeistert von ihm war.

„Bei der Vorstellung wirkte Sie desinteressiert (kein Augenkontakt). Da sie die optischen Erwartungen aber erfüllt hat (wenngleich sie natürlich auf den Werbefotos extrem herausgeputzt und toll fotografiert ist) blieb ich bei meinem Vorhaben. […] Sex in der M-Stellung war dann gut. Ihre Reize kamen dabei extrem gut zur Geltung. Doggie war eine Katastrophe (Handblockade mit 4 Fingern – angeblich “too big”) und auch Reiter war mangels Eintauchtiefe eher unbefriedigend. Also wieder zurück in die M-Stellung und die Aussicht genossen. Direkt nach Abschluss ist sie kurz nach aus dem Zimmer verschwunden. Als Lilly wieder kam, war ich schon angezogen und bereit zum gehen. Also wie gesagt – optisch Top, der Rest eher unterdurchschnittlich“

Ein paar Meter weiter auf der linken Seite befindet sich der „Club Conny“. Hier gibt es unter anderem einen „Limousinenservice“ (meint: mann kann in einer fetten Limo durch die Stadt fahren, sich wie ein dicker Fisch fühlen und nebenher ist (sind) eine (oder mehrere) Frau(en) sexuell zu Diensten). 2011 schrieb ein Sexkäufer, dass es „diesen Club schon mindestens seit 12 Jahren gibt“. Allerdings gibt es Beschwerden über mangelnde Anonymität.

„Es ist eine Mischung aus Wohnung und Club. Du wirst empfangen und die Ladies stellen sich der Reihe nach vor. Wenn Du Pech hast, dann starren 2 weitere Freier mit auf die Mädels, etwas befremdlich, wie eine Fleischbeschau. Ist mir aber erst 2 mal passiert. War sicher 10-12 mal dort, Ambiente ist okay, sauber war es auch, Eingang ist wenig dezent, da schaut Dir tagsüber jeder aus dem Stehcafe zu.“

Über den Otto-Suhr-Ring fahre ich weiter Richtung Metro. Kurz bevor ich dort ankomme fällt mein Blick auf „Beate Uhse“ und „Erotic Discount“. Offenbar wurde die Adresse „Lollipopp Girls“ hier inzwischen aufgegeben. Noch vor etwa einem Jahr jedoch war diese Adresse stark frequentiert. Mit einem Augenzwinkern deuteten die Sexkäufer online ihren dortigen Besuch an mit „Ich musste heute mal wieder zur Metro“. Hier wurden extrem jung aussehende Frauen angeboten, die in den Anzeigen passend zum Namen oft mit Zöpfchen und Lolli im Mund posierten. Offenbar ein Angebot für die Liebhaber von „Teen Sex“ – bis heute eine der beliebtesten Pornokategorien überhaupt.

Ein Sexkäufer schreibt:

„Wieder im Zimmer angekommen wollte ich gleich mal ran und sie abknutschen, was sie aber mit Kopf auf die seite geste wohl eher nicht wollte. Schade eigentlich denn ich dachte … heute gehste mal richt ran […] Ich dachte .. so jetzt verwöhne ich die Lady mal…. aber das wollte sie leider auch nicht richtig und hat ständig ihre Hand vor gehalten und immer no gesagt… mhhh das war etwas komisch… dann wollte sie mir wieder einen Blasen und ich hatte das Gefühl das sie die 20min schnell hinter sich bringen möchte. […] Dann ging es los in der Missionars Stellung und als ich sie fragte ob sie sich umdrehen kann hat sie mich nicht verstanden oder wollte nicht.. schade ich mag es lieber von hinten. Dann habe ich nur gedacht sie will das ganze hier irgendwie nicht und ist vielleicht schon wund gepoppt … weil jedes mal wenn ich ihren kitzler reiben wollte hat sie meine Hand leicht zur seite getan. […] Mein Fazit:Aussehen war gut, mir persönlich etwas zu jung mit zu wenig Brust. ZK wollte Sie gar nicht. GV wollte Sie auch nicht.“

Ich kaufe ein und fahre dann über die Boelckestraße Richtung Autobahn.

Kurz vor der Autobahn befindet sich auf der rechten Seite das „Pink Haus“ – ob hier noch Prostitution stattfindet weiß ich nicht, mindestens aber bis 2013 war dies noch der Fall. Die Berichte erwähnen immer wieder die wenig einladende Örtlichkeit:

„Das Haus ist eine heruntergekommene Ruine, das Treppenhaus notdürftig kaschiert. Das Zimmer war fast leer aber einigermasen sauber. Wie auch das Bad, eher nicht so fein.“

Ein anderer schreibt:

„k. geht noch aber der rest ist wohl schon jahre im geschäft und muß sich zudröhnen“

Und ein dritter:

„Dann wollte ich in die Missio Das wollte Sie gar nicht. Hmmm Stimmung sinkt Ich hab dann den Gummi entfernt und wollte einfach auf Ihren Bauch abspritzen. Da sagte Sie 20 € extra Stimmung ganz dahin Ich wollte einfach gehen Das wollte Sie nicht wohl wegen Angst vor Chef. Ich fragte was nun sie sagte Gummi. […] da geh ich lieber Heim und guck mir nen Porno an“

Ich bin jetzt auf der Autobahn und muss jetzt nur noch einmal in der Mainzer Straße vorbei. Noch eine Prostitutionsstätte muss ich passieren, eine Terminwohnung auf der „Rue“, wie Wiesbadens Boulevard mit Geschäften zahlreicher namhafter Spitzendesigner, die Wilhelmstraße, heißt.

Ich atme tief durch. An nur einem Tag habe ich 21-23 aktuelle Prostitutionsstätten, 5-7 frühere Prostitutionsadressen, zwei Mord-Tatorte, den Bauplatz eines verhinderten Bordells und eine geschlossene Prostitutionsstätte passiert. Einige davon mehrfach. Wie passt das zu einem Bericht, den 2010 die Frankfurter Rundschau abdruckte:

„Eigentlich hat das älteste Dienstleistungsgewerbe der Welt in Wiesbaden keine große Tradition. “Vier legale Bordelle, zwei an der Mainzer Straße, sowie je eines in Biebrich und Kastel – mehr gibt es bei uns nicht”, zählt [ein Mitarbeiter] vom Ordnungsamt auf. Damit gebe es auch kein klassisches Rotlichtviertel wie etwa in Frankfurt. Der Grund liegt für B. auf der Hand: “Das Gewerbe wird von der zumeist bürgerlichen Bevölkerung einfach nicht angenommen.” Wo keine Nachfrage ist, gäbe es auch kein Angebot.“

Antwort: Gar nicht. Die Realität ist, Prostitution gibt es überall in Wiesbaden. Die städtischen Behörden gehen von 250 prostituierten Frauen in Wiesbaden aus. Bei eigenen Recherchen habe ich bei 1000 aktuellen Bewerbungen aufgehört zu zählen. Weil ich nicht mehr weitermachen konnte. Durch den ständigen Wechsel der Besetzung ist ziemlich sicher davon auszugehen, dass die Zahl der jährlich durch die 280.000 EinwohnerInnen-Stadt geschleusten Frauen um ein vielfaches höher ist. Die Sexkäufer verlangen nun mal nach „Frischfleisch“.

Manchmal erzähle ich FreundInnen, welche schrecklichen Dinge ich mal wieder in den Foren gelesen habe. Neulich fragte mich einer: „Mensch Manu, warum folterst du dich eigentlich selbst?“ Eine Frage, die ich mir selbst natürlich auch regelmäßig stelle, wenn ich zum Beispiel mal wieder unter Schlafproblemen oder Stimmungsschwankungen (Traurigkeit, Wut) leide. Es ist nun aber mal so, dass man nicht mehr die Augen einfach wieder verschließen kann, wenn sie einem einmal geöffnet wurden. Ja, manchmal wünschte ich mir wirklich, ich könnte wieder – wie früher – unbeschwert und blind durch meine Stadt laufen und müsste mir nicht ständig bewusst werden, dass die sexuelle Ausbeutung von (meist migrantischen) Frauen einfach fast niemanden interessiert. Es geht um „Wegwerfmädchen“ ohne Lobby.

Ja, ich verstehe, dass man sich nicht damit auseinandersetzen möchte, was vor der eigenen Haustür passiert.

Ja, ich verstehe, dass der Glaube an die „selbstbestimmte, freiwillige Sexarbeiterin“ es uns einfacher macht wegzuschauen.

Ja, ich verstehe, dass es einfacher und weniger schmerzhaft ist, den Gedanken zu verdrängen, dass der eigene Ehemann, der eigene Partner oder Sohn zu den 1,2 Millionen Freiern in Deutschland gehört. (Diese Zahl stammt von Hydra aus dem Jahr 1989. Damals wurden 3 Sexkäufer täglich / prostituierte Frau veranschlagt – heute brauchen die Frauen jedoch oft 4-5 Sexkäufer täglich alleine um ihre Mietkosten zu decken.)

Emma Goldman schrieb im vorletzten Jahrhundert „Das gewalttätigste Element der Gesellschaft ist die Ignoranz“.

Ja, es tut weh, sich mit dieser Materie auseinanderzusetzen und sich des Versagens der Gesellschaft gewahr zu werden. Aber welche anderen Möglichkeiten haben wir?

Ja, ich würde mich gerne anderen, angenehmeren Themen zuwenden. Aber ich kann mich nicht blind stellen und ich kann nicht einfach so tun, als würde das alles nicht vor meiner Haustür passieren.

Wenn wieder einmal über einen vermeintlichen Untergrund in Schweden phantasiert wird, in den die Prostitution nach dem Sexkaufverbot gewandert sein soll, dann schreit es in mir: „Euer Untergrund liegt genau vor euch, schaut doch hin, verdammt noch mal!“

Ja, es tut weh, aber letztendlich sind es die prostituierten Frauen, die täglich durch diese Hölle müssen.

Sie können nicht wie ich entscheiden, dass ich mir, wenn es mir zu viel wird, einfach mal eben eine Auszeit gönne und mich schöneren Dingen zuwende.

Sie sind es, die sämtliche Körperöffnungen zur Verfügung stellen müssen, egal ob der Freier stinkt, Gewalt anwendet oder vom Alter her ihr Sohn, Vater oder Großvater sein könnte.

Von daher können wir nur eins tun: Hinschauen, aufklären und für eine andere Gesellschaft kämpfen – Seite an Seite mit denjenigen, die das System Prostitution überlebt haben, und die dennoch den Rest ihres Lebens mit den Folgen zu kämpfen haben werden. Die Prostitutionsüberlebende Andrea Dworkin sagte 1987:

“Now, when I talk about a resistance, I am talking about an organized political resistance. I’m not just talking about something that comes and something that goes. I’m not talking about a feeling. I’m not talking about having in your heart the way things should be and going through a regular day having good, decent, wonderful ideas in your heart. I’m talking about when you put your body and your mind on the line and you commit yourself to years of struggle in order to change the society in which you live. […] A political resistance goes on day and night, under cover and over ground, where people can see it and where people can’t. It is passed from generation to generation. It is taught. It is encouraged. It is celebrated. It is smart. It is savvy. It is committed. And someday it will win. It will win.”

Dass eine andere Gesellschaft möglich ist, zeigen Länder mit einem Sexkaufverbot wie Schweden, Norwegen, Island oder Kanada. Frankreich und Irland stehen kurz davor, in Israel und anderen Ländern wird es ernsthaft diskutiert. Das gibt Mut weiterzumachen.

Eine Entscheidung habe ich jedoch getroffen: Die letzten drei Wochen bis Semesterende nehme ich zumindest nach Mainz nur noch den Zug und nicht mehr den Bus …

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