Prostitution, Postfeminismus und Neoliberalismus
Je länger diese Prostitutionsdebatte andauert, umso mehr wundere ich mich über so manche Argumentation. Hier ein paar besondere Stilblüten:
• Amnesty International London veröffentlicht ein Positionspapier und reklamiert ein Recht auf sexuelle Befriedigung jenseits konventioneller Möglichkeiten (Perspektivwechsel: vorher ging es immer um das Recht sich prostituieren zu dürfen)
• Eine Bordellbetreiberin propagiert ein Menschenrecht (Männerrecht?) auf Sex
• Auf einer Konferenz zu Sorgearbeit wird Sexarbeit unter “Care-Arbeit” subsumiert, in einer Reihe mit „Gesundheit, Pflege, Assistenz, Erziehung, Bildung, Wohnen, Haushaltsarbeit“
Auffällig ist auch eine neoliberale Argumentation in Bezug auf Prostitution/Sexarbeit. Diese wird deutlich in der Aufforderung “Gefühle” und “Moral” (oder auch “Ethik”) doch bitte in der Diskussion außen vor zu lassen und bitteschön “rational” zu diskutieren. Wie Meghan Murphy[1] richtig bemerkt ist es doch eigentlich der Kapitalismus der keine Gefühle kennt und dem Moral und Ethik bei der maximalen Gewinnmaximierung absolut im Wege stehen. Aber Linke (und LINKE) argumentieren in der Regel so nicht und treten ein für Arbeitsschutz und gegen Ausbeutung, moderne Sklaverei (Leiharbeit), teilweise für ein bedingungsloses Grundeinkommen, mitunter sogar gegen den Lohnarbeitsfetisch (Stefan Grigat) oder gar für ein “Recht auf Faulheit”[2] (Paul Lafargue, 1883, Schwiegersohn von Karl Marx).
In der Prostitutionsdebatte gilt es jedoch plötzlich auch in linken Kreisen für legitim jemanden aus egoistischen Motiven auszubeuten, weil diese Person beispielsweise in einer schwierigen ökonomischen Situation ist – und deshalb Sex gegen Geld “freiwillig” zugestimmt hat.
Für die freiwilligen Sexarbeiterinnen, die sagen für sie handele es sich um einen “Beruf wie jeden anderen” und eine bewusst und frei gewählte Tätigkeit, wird mit Händen und Füßen, auch von Linken, für den Erhalt dieses “Marktsegments” gekämpft. Komisch: Ich hab noch nie jemanden aus den “eigenen Reihen” gehört der/die sagte: “Es gibt auch glückliche Leiharbeiter_innen. Da können wir doch nicht grundsätzlich dagegen sein. Wir nehmen ihnen doch ihre Lebensgrundlage” Oder: “Wir dürfen nicht gegen Atomkraft oder Kohlestrom sein. Was wird denn dann aus den Menschen, die dort arbeiten?” Ich habe NOCH NIE mitbekommen, dass hier eine Forderung aufgestellt wird, die eigene Ethik und Moral beiseite zu stellen und gefälligst mal “rational” zu argumentieren. Oder doch mal den Betroffenen zuzuhören was die eigentlich wollen. Hat es nicht auch mal Demos der Kohle-Kumpel zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze gegeben? Und haben dann Linke nicht gesagt man muss natürlich Alternativen für sie schaffen, aber an den umweltpolitischen Zielen selbstverständlich festhalten, weil wir nicht weiter die Erde so gewissenlos zugrunde richten dürfen wie bisher?
Auch der Feminismus vertritt keine Individualinteressen, sondern Kollektivinteresseren. Er analysiert Gesellschaft und fordert dieGleichberechtigung der Geschlechter ein und bedient sich dabei auch ethischen Grundsätzen. Bei dem Kampf gegen sexistische Werbung habe ich auch noch niemanden gehört, der/die sagte: “Aber die Frau auf dem Bild hat sich doch freiwillig und vollkommen selbstbestimmt sexistisch in Szene setzen lassen. Vielleicht gefällt sie sich ja auch in dieser Rolle. Außerdem kann sie so ihren Lebensunterhalt bestreiten” – Nein! Zu Recht wird argumentiert, dass Sexismus in der Werbung der Gesellschaft als solcher schadet und die sexualisierte Darstellung von Frauen an jeder Ecke die Bemühungen um Gleichstellung beeinträchtigt und das weibliche Geschlecht abwertet.
Wieso wird dann aber in Bezug auf Sexarbeit/Prostitution plötzlich auf Individualinteressen abgestellt? Wohl wissend, dass es verdammt vielen Frauen (und Männern) in der Prostitution verdammt scheisse geht?
Strukturell betrachtet wird bei Prostitution kein Sex oder eine “sexuelle Dienstleistung” gekauft. Vielmehr geht es darum sich den Zugang zum Körper einer Person zu erkaufen, die dem Sex ohne Geld nicht zustimmt. Die sexuelle Benutzung oder Misshandlung einer anderen Person aus egoistischen Motiven muss materiell entschädigt werden, damit die Zustimmung erfolgt. Warum fällt die enorme Verbreitung von posttraumatischen Belastungsstörungen, vergleichbar mit der von Kriegsveteranen und Folteropfern, hier immer wieder gerne unter den Tisch?
Gehen wir einmal davon aus, dass es uns – wie auch immer – gelingen könnte Prostitution nur für diejenigen abzuschaffen, die
- durch physischen oder psychischen Zwang dazu gebracht werden,
- sich aus ökonomischer Not heraus prostituieren,
- die in ihrer Kindheit bereits Gewalt erfahren haben und hochtraumatisiert sind,
und es blieben jene übrig, die sich trotz Alternativen (z.B.
abgeschlossenem Hochschulstudium) für die Tätigkeit als Sexarbeiterin
entschlossen haben und diese gerne ausüben und als “Beruf wie jeden
anderen” betrachten. Jene , die immer wieder sagen sie “wollen nicht
gerettet werden” und von einer „Rettungsindustrie“ sprechen. Ganz
ehrlich: Euch will auch niemand retten. Wie der schwedische Ermittler
Simon Häggström bei seinem Vortrag bei der European Womens Lobby (EWL)[3]
so schön sagte: “This law was not meant for them” – Nein, das Gesetz
soll nicht für euch gemacht werden – sondern für alle jene die in der
Prostitution gegen ihren Willen ausgebeutet werden. Jetzt verstanden?
Und das Schöne ist ja: das nordische Modell richtet sich ausschließlich
gegen die Benutzenden und das sich freiwillig Prostituieren wird gar
nicht bestraft, deshalb könnt ihr das sogar weiter tun.
Was würde hierzulande durch ein Gesetz wie in Schweden passieren? Zum
einen käme es zu einer extremen Verknappung auf der Angebotsseite und
dadurch marktanalytisch betrachtet zu einer Erhöhung der Preise, da die
Nachfrage das Angebot massiv übersteigen würde. Prostitution wäre ein
“Tauschgeschäft”, welches insbesondere in wohlhabenden Kreisen vollzogen
werden würde.
Ich behaupte, dass die verbale Trennung von Zwangsprostitution und
freiwilliger Prostitution nur ein Feigenblatt ist um den Status Quo
beizubehalten:
- die Freier brauchen genau diesen undurchschaubaren großen Markt um zum einen generell “zum Schuss” und auch an ausreichend “Frischfleisch” aus “aller Herren Länder” („Völkerverständigung von unten“, wie Dona Carmen sagt) zu kommen und dies zum anderen zu für sie bezahlbaren Preisen (es sei denn irgendwann kommt doch noch der Sex auf Krankenschein oder bezahlt durchs Jobcenter – ich kann mir mittlerweile fast alles vorstellen)
- wer auch immer ein Recht auf Sex am lebenden Objekt propagiert, weiß auch, dass es zur Durchsetzung desgleichen nicht reicht auf “Freiwillige” zurückzugreifen. Schon jetzt ist es kaum möglich den enormen “Bedarf” zu decken. Deshalb braucht es die neoliberale Argumentation, dass es legitim sein soll wenn diskriminierte Roma-Frauen ohne Bildung sich durch Prostitution gefälligst selbst aus der Armut befreien sollen[4] (statt ihnen die ihnen zustehenden Sozialleistungen wie nach EU-Recht vorgesehen einfach auszuzahlen). So wird aus der ökonomischen Zwangsentscheidung mal eben ein emanzipativer Akt und aus dem Dauer[be]nutzer der Sexualorgane anderer Menschen ein wohlmeinender “Entwicklungshelfer”.
- die “glücklichen Sexarbeiterinnen” wissen ganz genau, dass nur durch den Kampf gegen Prostitution im Allgemeinen Zwangsprostitution (aus physischen, psychischen, ökonomischen Zwängen) bekämpft werden kann und eine Trennung in der Praxis auch bei stärksten Anstrengungen nicht möglich sein wird. Sie stellen ihre eigenen “Rechte” deshalb vor die derjenigen, denen es in der Prostitution nicht so gut geht wie ihnen selbst und leugnen deren Schicksal (bis hin zu Diffamierungen von Prostitutionsüberlebenden als “Lügner_innen”).
Sorry Leute, aber da steig ich aus und bleibe dabei: Menschenwürde
ist nichts Individuelles, sondern etwas Universelles. Und wenn ich es
für die einen nicht zumutbar halte sich den Lebensunterhalt durch
Prostitution zu bestreiten, dann kann ich es in Bezug auf andere nicht
plötzlich als menschenwürdig deklarieren. Und was die Benutzung von
anderen Menschen aus egoistischen Motiven angeht, auch dazu habe ich
eine klare Haltung: NO GO!
Der so genannte Postfeminismus wendet sich deutlich ab von dem
gemeinsamen Kampf für Frauenrechte, gegen die triple oppression (Rasse,
soziale Klasse, Geschlecht – die nirgendwo so deutlich zusammenwirken
wie in der Prostitution – auch hier wieder deutliche Worte von Meghan
Murphy[5]) Dazu auch Natalie Schmidt (Vorwärts)[6]:
„Auffällig ist, wie wenig sich der Postfeminismus mit ökonomischen
Verhältnissen befasst. Vielmehr steht im Vordergrund, kulturelle Codes
zu knacken, das eigene Rollenverhalten zu ändern und den individuellen
Weg zu finden, um im Patriarchat zu überleben. Das klingt nicht nach
Kapitalismuskritik, die die Verhältnisse als Ganzes und damit eben nicht
nur in Bezug auf kulturelle Spielarten von Geschlecht betrachtet. Es
beschreibt vielmehr einen Weg um innerhalb der bestehenden
kapitalistischen Ordnung eben noch den größtmöglichen persönlichen
Vorteil herauszuschlagen. Es ist beunruhigend, wie viel die Ideale des
Postfeminismus mit denen der neoliberalen Ideologie gemeinsam haben.“
Und weiter: „Dieses Konzept der Selbstverwirklichung ignoriert die
gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Frauen weiterhin ökonomischen
Zwängen und hegemonial männlichen Hierarchien ausgesetzt sind, auf die
sie als Einzelpersonen wenig oder keinen Einfluss haben. In der zweiten
Frauenbewegung bedeutete Emanzipation, sich frei zu machen von der
Abhängigkeit von Männern, solidarische Beziehungen zwischen Frauen zu
knüpfen und eine antikapitalistische Position zu vertreten. Im
Postfeminismus bedeutet Emanzipation – passend zur neoliberalen
Ideologie – im kapitalistischen Sinne individuell erfolgreich zu sein
und vermeintlich über den Ungerechtigkeiten zu stehen.“
Sprich: Feminismus ist total hip und auch ganz toll um individuell
gleiche Karrierechancen und Führungsansprüche einzuklagen – auf
Solidarität für diejenigen, die in diesem patriarchal-kapitalistischen
System unter die Räder kommen ist aus diesen Kreisen jedoch nicht zu
hoffen. Frei nachdem Postbank-Slogan „Unterm Strich zähl ich“ – und
sonst niemand.
Ich hoffe dieses neoliberale Geblubber findet bald ein Ende und die
Menschen fangen an mehrheitlich ihre Empathie und ethische Werte
wiederzuentdecken.
Nur dann besteht noch Hoffnung: Für die Linke, wie
auch den Feminismus.
In diesem Sinne: SISTERHOOD!
Dieser Beitrag erschien erstmals am 4. April 2014 als Gastbeitrag im Internetblog „Die Freiheitsliebe“*
[1] http://feministcurrent.com/8835/no-i-will-not-stop-having-feelings-about-womens-lives-and-human-rights/ [2] http://www.wildcat-www.de/material/m003lafa.htm [3]http://www.youtube.com/watch?v=8cMmEH3mIaM (deutsche Untertitel aktivierbar) [4] Missy Magazine “Vielleicht fühlt es sich aus der Perspektive einer Romafrau, die im Elend lebt und rassistisch verfolgt wird tatsächlich selbstbestimmt an, in Deutschland als Sexarbeiterin zu arbeiten? ” und “…es wäre vielleicht besser, jenen, die weniger privilegiert sind, als wir selbst zu überlassen, wo die Grenzen ihrer Menschenwürde verlaufen.” [5] http://feministcurrent.com/8771/in-prostitution-race-class-and-sex-intersect-in-the-worst-of-ways-to-subjugate-native-women/ [6] http://www.vorwaerts.ch/theorie-debatte/die-postfeministische-angst-vor-den-frauen/