Das Nordische Modell – Über Mythen, blinde Flecken und Realität
Beschäftigt man sich mit dem Thema Prostitution stößt man relativ schnell auf das so genannte Nordische Modell – und divergierenden Bewertungen dessen. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft werden Behauptungen über die Wirksamkeit des Prostitutionsgesetzes aufgestellt, die keiner kritischen Betrachtung standhalten. Dieser Beitrag soll dazu dienen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Dies ist umso notwendiger, als durch die Überlegungen zur Übernahme des Modells in zahlreichen europäischen Staaten und die Resolution des Europaparlaments für ein Sexkaufverbot nach Schwedischem Modell, die Desinformationskampagnen nochmal einen Schub bekommen haben
Legalisierende Gesetzgebung: Ziel und Wirkung
„Deutschland ist die Hölle auf Erden für die prostituierte Klasse“ (Rebecca Mott[i], Prostitutionsüberlebende)
Legalisierungsgesetze gab es 1998 in Österreich und Griechenland, 2000 in den Niederlanden und 2002 in Deutschland.
Ziel war es insgesamt die Sexindustrie zu kontrollieren, zu regulieren
und Menschenhandel/Zwangsprostitution zurückzudrängen. Außerdem sollten
Bedingungen für ein erleichtertes Einzahlen der Betroffenen in die
Sozialkassen geschaffen werden. Argumentiert wurde mit erhöhter
Sicherheit und besseren Bedingungen für Menschen, überwiegend Frauen, in
der Prostitution. Die Etablierung von Prostitution als Erwerbstätigkeit
und „Beruf wie jeder andere“ hat nicht zur Stärkung der Betroffenen
geführt, sondern zur Stärkung der Profiteur_innen – und füllt diesen die
Taschen mit geschätzt 14,5 Milliarden Euro Jahresumsatz alleine in
Deutschland. Von reichen Prostituierten/Sexarbeiterinnen ist übrigens
nichts bekannt. (Im Gegenteil, Betroffene wie Domenica (die „Königin der
Reeperbahn“) berichten immer wieder, dass das „schmutzige
Monopoly-Geld“ so schnell wie möglich weg muss). Außerdem gibt es seit
der Legalisierung einen Unterbietungswettbewerb mit Dumpinglöhnen und
Druck auf immer mehr Sex ohne Kondom. Betroffene berichten von
gravierender Ausbreitung von Tripper, Syphillis und anderen Geschlechts-
und Infektionskrankheiten.
Ein hochrangiger Polizist stellte 2013 im Magazin „Der Spiegel“[ii]
fest: Deutschland ist zu einem „Zentrum des sexuellen Missbrauchs
junger Frauen aus Osteuropa geworden, und zu einem Betätigungsfeld für
das organisierte Verbrechen aus aller Welt“. Obwohl Hells Angels, United
Tribuns und andere kriminelle Banden das Rotlichtmilieu entscheidend
dominieren, ist von Seiten der Prostitutionsbefürworter_innen
diesbezüglich wenig zu hören. Natürlich haben sie Recht, wenn sie sagen:
Menschenhandel/Zwangsprostitution ist verboten und kann nach der
hiesigen Gesetzgebung theoretisch verfolgt werden – in der Praxis ist
dies für die Polizei de facto aber gar nicht möglich. Auch deshalb
bezeichnet Kommissar Manfred Paulus das Gesetz u.a. als
„Zuhälterschutzgesetz“.[iii]
Auch die Legalisierungspolitik in Österreich und den Niederlanden wird
inzwischen von Politik und Behörden als gescheitert erklärt. im 2007
veröffentlichten Daalder-Bericht wurde sie als „Fiasko“ bezeichnet, eine
Erhebung der niederländischen Polizei brachte 2008 das Ergebnis, dass
50-90% der Frauen unfreiwillig in der Prostitution arbeiten. Das
emotionale Wohlbefinden der Prostituierten ist niedriger als je zuvor,
der Drogengebrauch unter ihnen rapide angestiegen.
Die Situation in Griechenland ist ebenfalls desaströs, gerade heute in
Zeiten der Krise. Auch dort werden Zuwanderinnen, insbesondere
Nigerianerinnen unter schlimmsten Bedingungen ausgebeutet.[iv]
Das Nordische Modell – Hintergrund
Schweden hat 1999 nach jahrzehntelanger, intensiver (!) Forschung ein Gesetz eingeführt, nach dem der Verkauf von Sex legal ist, der Kauf hingegen bestraft und gesellschaftlich mit unterschiedlichsten Mitteln bekämpft wird. Häufig wird behauptet, dieses Gesetz sei über die Köpfe der Betroffenen hinweg beschlossen worden. Dem ist eindeutig nicht so. Die schwedische Forschung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie sehr genau auf die Stimmen der Betroffenen gehört hat. Seit den späten 70er Jahren trafen sich schwedische Prostitutionsforscher_innen mit Betroffenen, ganz ohne Vorurteile, und hörten sich an, was sie zu sagen haben. Die Expert_innen der Regierungskommission taten ab 1977 etwas eher Ungewöhnliches: Sie verließen ihre Büroarbeitsplätze und besuchten mehr als drei Jahre lang Sexclubs, sprachen mit Prostituierten, Sexkäufern und anderen, die sie dort trafen. Sie wollten verstehen, was genau Prostitution ausmacht. Heraus kam ein 800-Seiten-dicker Bericht, davon 140 Seiten Aussagen von Betroffenen. Seite für Seite erzählten prostituierte Frauen von ihrem Weg in die Prostitution, über die Sexkäufer, von der Rolle von Alkohol und Drogen, von Gewalt, Scham, Stärke und Überlebensstrategien. Diese Vorgehensweise war einmalig. Frühere Forscher hatten Prostitutierte als abnormal abgestempelt, Prostitution am Rand der Gesellschaft verortet. Diese Forschung kann demnach jedoch zu Recht als wichtiger Paradigmenwechsel bezeichnet werden.
Die Untersuchungen wurden in den 80er und 90er Jahren fortgesetzt. 1983 veröffentlichte Stig Larsson ein Buch[v], welches auf den Geschichten von 224 Prostituierten aus dem Malmö-Projekt (1977-1981) aus ihrer eigenen Perspektive resultierte. Weitere Studien zu den Profiteuren des Sexhandels und über Ausstiegsoptionen legten den Grundstein für die Gesetzgebung von 1999. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Schweden sehr ausführlich mit Betroffenen gesprochen wurde
Die nordische Gesetzgebung – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Das schwedische Sexkaufverbot wurde bereits 1999 von der damaligen
sozialdemokratischen Regierung implementiert und kann wie ausgeführt auf
eine lange und ausführliche Vorarbeit zurückgreifen. Ziele waren das
Zurückdrängen des Menschenhandels, die Reduzierung der Zahl der Freier
und die größere Sensibilisierung der Öffentlichkeit, sowie die Reduktion
von sexueller Gewalt gegen Frauen.
Norwegen folgte dem Beispiel 2008, Island ein Jahr später (inklusive eines Verbots von Stripclubs).
Die 2011 amtierende, sozialdemokratische Regierung Dänemarks machte die
Einführung eines Sexkaufverbots zum Wahlversprechen, löste dies aber mit
Verweis auf einen der kleineren Koalitionspartner bisher nicht ein.
Evaluation der Gesetzgebung
Der schwedische Regierungsbericht aus dem Jahr 2010[vi] hat folgende Ergebnisse von 10 Jahren schwedisches Modell festgestellt:
- Prostitution ist signifikant zurückgegangen (von geschätzten 3000 in 1995 auf geschätzte 1500 in 2002 und 600 in 2008)[vii]
- die Gesetzgebung wird politisch breit getragen, 70% der Bevölkerung stehen dahinter (größte Zustimmung in den jüngeren Altersstufen)
- die Polizei erklärt, dass Schweden weniger attraktiv für Menschenhändler geworden ist und dass sie einen guten Überblick über die Situation hat[viii]. (Es gibt kaum ausländische Frauen in Schweden, die sich prostituieren. Nach der Einführung des Gesetzes gab es vermehrt nigerianische Prostituierte in Norwegen, nach der Einführung des Gesetzes dort kam es zu einer Verlagerung nach Dänemark)
- Straßenprostitution konnte halbiert werden, es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sie in geschlossene Räume verdrängt wurde
- es gibt weniger Sexkäufer: 2013 gaben 8% der Männer an für Sex bezahlt zu haben, 1996 waren es 13%
- Gewalt gegen Prostituierte hat nicht zugenommen, ihre Lebensbedingungen haben sich nicht verschlechtert; gewalttätige Freier können der Polizei gemeldet werden
- der Ausstieg aus der Prostitution wurde leichter
Diejenigen, die noch in der Prostitution arbeiten sind skeptischer
gegenüber dem Gesetz, als diejenigen die ausgestiegen sind. Jene sind
der Meinung, dass das Gesetz ihnen die Kraft gegeben und ihnen die Scham
über erfahrenen sexuellen Missbrauch genommen hat. Das PRIS-Netzwerk
von aktiven und ehemaligen prostituierten Personen steht fest hinter der
Gesetzgebung.[ix]
Auch in Norwegen lassen sich teilweise Verbesserungen der Situation
nachweisen, und zwar in einem Rückgang der Gewalt gegen Prostituierte,
so nachzulesen in einem Bericht von Pro Sentret aus dem Jahr 2012.[x]
Auch wenn Pro Sentret aufgrund der Erhebungen behauptet, die Gewalt sei
angestiegen, ist diese Aussage bei näherer Betrachtung nicht haltbar:
Während der Bericht einen Rückgang von Gewalttaten wie Vergewaltigung,
Faustschlägen und Ohrfeigen feststellt, nahm die Gewalt hingegen in
Bereichen wie „Beschimpfen“, „Haare ziehen“ und „Anspucken“ zu. Auch
konstatiert der Bericht eine Abnahme von Freiern und schlechteren Zugang
zur Prostitution. Obwohl der Bericht durch und durch unwissenschaftlich
ist konstatiert er ungewollt eine Verbesserung der Situation in der
Prostitution seit der Einführung des Sexkaufverbots
Außerdem müssen wir festhalten, dass es die Freier und die Zuhälter
sind, die Gewalt gegen Frauen anwenden und nicht das Gesetz (oder
Feminist_innen). Wenn Behauptungen aufgestellt werden, dass bei einer
Reduktion der „bösen Freier“ die Quote der „netten Freier“ pro
Prostituierter sinkt und die Wahrscheinlichkeit an einen „bösen“ zu
geraten, steigt, dann ist das eine absurde Argumentation, denn ohnehin
wird irgendwer diese Person ertragen müssen.
Exkurs: Sicherheit versus Schadensminimierung („harm reduction“)
Prostitution kann niemals unter Bedingungen stattfinden, die sicher oder gewaltfrei sind. Gewalt in der Prostitution gibt es überall, unabhängig von der Gesetzgebung. Die Prostitutionsüberlebende Rachel Moran [xi]spricht von Prostitution als der Kommerzialisierung sexuellen Missbrauchs. Deshalb erwartet von der prostitutionskritischen Seite niemand einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass es eine heile, kuschlige Wohlfühlatmosphäre in der Prostitution gibt. Das Prostituierte ohne Schaden bleiben, erwarten nicht mal die Prositutionsbefürworter_innen, denn sie sprechen nicht von Schadensverhinderung, sondern ihr Ansatz nennt sich „harm reduction“ (Schadensverringerung). Damit führen sie den Mythos der „glücklichen Hure“ selbst ad absurdum.
Gegner_innen des Nordischen Modells
Gegner_innenschaft gibt es in Schweden aus verschiedenen Richtungen:
- SANS (Sex Workers and Allies Network in Sweden)
- Rose Alliance (die nationale, schwedische Organisation für Sexarbeiter_innen)
- Wissenschaftler_innen wie Susanne Dodillet, Expert_innen wie Petra Östergren
- rechtskonservative Poliker_innen, die Jugendorganisationen der Centre Partiet (Konservative) und Folkpartiert (Liberale)
- der Think-Tank Timbro
- das linksliberale Magazin Arena
Östergren und Dodillet machen international Stimmung gegen das Nordische
Modell und gehen dabei alles andere als wissenschaftlich vor. Östergren
hat bspw. für ihre Masterarbeit 15 Prostituierte ausgewählt, die
explizit glücklich mit ihrer Tätigkeit sind.[xii]
Sie wollte keine Interviewpartner_innen, die schlechte Erfahrungen in
der Prostitution gemacht haben. Diese Arbeit wird trotz dieses extrem
fragwürdigen Vorgehens hoch- und runter zitiert und gegen das
Schwedische Modell verwendet. Dodillet wehrt sich gegen den
„Opferdiskurs“ und sieht Prostituierte als willensstarke Personen, die
sich durch Prostitution aus einer Notlage befreien können. (Als hätte
jemand jemals behauptet, dass Menschen in der Prostitution schwach seien
und starker Retter_innen bedürften – als ob starke Charaktere vor
Ausbeutungsverhältnissen per se geschützt seien). Dodillet ist auch
jene, die wider besseres Wissen vehement verbreitet das Gesetz sei über
die Köpfe der Betroffenen hinweg beschlossen worden. Ihre Dissertation
„Ist Sex Arbeit?“ wurde von verschiedenen Wissenschaftler_innen massiv
wegen ihrer Methodik kritisiert.[xiii]
In der Tat sind Dodillet und Östergren jene, die eine moralische
Debatte von gut (Sexarbeiter_innen) gegen böse (Feminist_innen) führen
und total darin versagen nachzuweisen, dass das Sexkaufverbot nicht
funktioniert.
Die Regierungsorganisation Pro Sentret, die auch für die Betreuung und
Beratung der Prostituierten zuständig sind, und das Forschungsinstitut
Fafo veröffentlichen am meisten zum Thema – beide sind eher pro
Legalisierung eingestellt. Die Soziologin May-Len Skilbrei
veröffentlicht regelmäßig für Fafo zur Situation der Prostitution in
Norwegen. Sie erklärte das Gesetz bereits wenige Tage nach Einführung
für gescheitert und sprach sich im Jahr 2006 für die Rücknahme des ihrer
Meinung nach gescheiterten schwedischen Gesetzes aus. Skilbrei und Fafo
veröffentlichten 2013 einen Bericht über norwegische Stripclubs, der
vom norwegischen Ministerium für Kinder, Gleichheit und soziale
Inklusion geordert worden war. Dieser Bericht war so unwissenschaftlich,
dass wesentliche Fragen (wer bekommt das Geld, wie nah hängt Striptease
mit Prostitution zusammen, welche Langzeiterfahrungen haben
Stripperinnen usw.) gar nicht erst gestellt wurden und man nach der
Lektüre nicht mehr wusste als vorher.
Fafo greift nicht nur das Sexkaufverbot an, sondern auch das 100 Jahre
alte Gesetz welches es unter Strafe stellt aus illegaler Prostitution
anderer zu profitieren (Zuhälterei) Anette Brunovski fordert nicht nur
eine Erlaubnis von Bordellen, sondern auch, dass Prostituierte dort auch
leben können dürfen. Da die meisten Prostituierten in Norwegen aus
ärmeren Ländern dorthin verschleppt wurden klingt dies zynisch. Statt
Strategien zu fordern um diesen Frauen zu helfen aus der Prostitution
auszusteigen oder Sozialleistungen und Arbeitsalternativen für sie
einzufordern lautet Fafos Forderung die Polizei solle diese Frauen in
den Bordellen in Frieden lassen….
Übrigens: Egal ob in Skandinavien oder im Rest von Europa:
Legalisierungsbefürworter_innen legen immer Wert darauf, eine Trennlinie
zwischen freiwilliger Prostitution und Zwangsprostitution, die ja in
jedem Fall abzulehnen und zu verbieten sei, zu ziehen. Wenn nun aber
erwiesenermaßen Staaten, in denen Prostitution legal ist, attraktiver
für Menschenhändler sind als solche, in denen der Sexkauf unter Strafe
steht, dann sind jene in der Verantwortung zu erklären, wie
Zwangsprostitution/Menschenhandel sonst bekämpft werden soll. Ein
Verweis auf „das ist ja verboten und da soll die Polizei halt mal
machen“ ist da eindeutig zu wenig.
Wenn Befürworter_innen sagen, dass Aussteiger_innen, die sich gegen
Prostitution positionieren einfach „nicht stark genug“ oder „ungeeignet“
für die Tätigkeit als Prostituierte seien, dann mutet das schon seltsam
an.
Ein beliebtes Argument der Gesetzesgegner_innen ist auch, dass die
Prostitution „in den Untergrund gewandert sei. Die schwedische Polizei
weist das vehement zurück und sagt: Prostituierte müssen für ihre Arbeit
werben, dementsprechend kann das, was Freier sehen können auch die
Polizei sehen. Außerdem: Selbst wenn es so wäre, ist das ein sich
widersprechendes Argument zu dem, dass Prostitution in Wohnungen und
Bordellen sicherer sei als auf der Straße (ein Argument was indes
zweifelhaft ist). Wäre dem so, dann müsste das Gesetz von den
Gegner_innen schon deshalb als Erfolg gefeiert werden.
Gleichzeitig bleibt dabei die Frage offen, wo in Deutschland eigentlich
die Trennlinie zwischen dem sichtbaren Bereich der offenen Prostitution
und dem Dunkelfeld der Zwangsprostitution verläuft und wie „Untergrund“
bei egal welchem regulierenden Eingriff umgangen werden soll. Es ist
entweder unredlich oder naiv, dieses Problem ausschließlich bei dem
nordischen Modell zu verorten.
Kritik ist willkommen – dort wo sie berechtigt ist
Niemand hat je behauptet, dass mit einem Sexkaufverbot die Prostitution
von heute auf morgen verschwindet. Genauso wenig wie jemand auf die Idee
käme auch nur anzunehmen, dass es keine Vergewaltigungen, Diebstähle
oder Morde mehr gibt, nur weil man sie unter Strafe stellt.
Was Schweden aber beweist, ist, dass mit ernst zu nehmenden Bemühungen
Entwicklungen in die richtige Richtung erreichbar sind. Nicht ohne
jedoch regelmäßig zu evaluieren und nachzubessern – was auch passiert.
Das Gesetz in Norwegen wurde jedoch relativ lax eingeführt und das
Handeln der politisch Verantwortlichen kann fast als Sabotage bezeichnet
werden. Es wurde mehr oder weniger gegen den Willen der beiden
Vorsitzenden der seinerzeit regierenden Sozialdemokrat_innen und
Sozialist_innen eingeführt. In manchen Städten ist die Situation heute
genauso wie damals, in manchen Regionen hat sich die Situation sogar
eher verschlechtert. Stripclubs und Massagesalons sprießen mancherorts
aus dem Boden und zwangsprostituierte Nigerianer_innen arbeiten hier und
dort auf dem Straßenstrich. Die Polizei übernimmt teilweise keine allzu
großen Bemühungen einzugreifen. Ein großer Kritikpunkt sind auch die
fehlenden Beratungsstellen und Exit-Programme, die es überhaupt nur in
den vier größten Städten gibt – die ländlichen Regionen sind hier
überhaupt nicht abgedeckt. Die härtesten Kritiker_innen sind hier
übrigens feministische Gruppen.
In Island gab zwischen 2009 und 2011 nur eine einzige Verurteilung. Dies
ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass mit der Einführung des
Gesetzes nicht eine Stelle bei der Polizei zusätzlich geschaffen worden
ist (während beispielsweise in Schweden 1 Million Dollar in 1999 und
weitere 4,1 Millionen Dollar in 2003 in Polizeiarbeit gesteckt wurden).
Auf Druck feministischer Gruppen wurden 2011 endlich zusätzliche Mittel
bereitgestellt, so dass nach einem Polizeibericht von 2013 von mehr als
100 verfolgten Fällen die Rede ist. Obwohl die Sache langsam in
Bewegung kommt, scheint es in Island wie in Norwegen nur halbherzige
Bemühungen zu geben, das Gesetz mit Leben zu füllen. Das Gesetz kann nur
mit ausreichender finanzieller Ausstattung von Polizei und Sozialarbeit
funktionieren. Eine Verkürzung auf die formelle Freierbestrafung greift
zu kurz. In Schweden gibt es einen nationalen Aktionsplan, der
regelmäßig evaluiert und überarbeitet wird und der von Ausstiegshilfen
bis hin zu antisexistischer Erziehung in allen Bildungseinrichtungen
reicht.
Vermischung mit der Zuwanderungsdebatte
Von Seiten wie beispielsweise von Dona Carmen[xiv], Institut für Medienverantwortung [xv] oder Prager Frühling [xvi]
wird behauptet, die Diskussion über Prostitution würde bewusst lanciert
werden um durch die Hintertür Zuwanderung aus Osteuropa stoppen zu
wollen. Das ist unredlich. So ist es zum Beispiel so, dass es in der
Zuwanderungsdebatte nicht um jene geht die in Deutschland selbstständig
oder unselbstständig arbeiten (für die gilt zweifellos die
Arbeitnehmer_innenfreizügigkeit), sondern in dieser Debatte geht es um
jene, die „in die Sozialsysteme zuwandern“. Statt zu fordern, dass
beispielsweise die zahlreichen Roma-Frauen und zunehmend auch Männer[xvii]
in der Prostitution Zugang zu Sozialleistungen erhalten sollen, die
ihnen nach EU-Recht zustehen (!) und nur durch ein europarechtswidriges
nationales Gesetz vorenthalten werden, argumentieren
Prostitutionsbefürworter_innen neoliberal mit dem „Recht“ der
Osteuropäer_innen, ihre Armut und Diskriminierung durch Prostitution
überwinden zu dürfen. Dabei handelt es sich um eine Tätigkeit, der die
allermeisten, wenn nicht gar alle, gar nicht erst nachgehen würden,
wenn sie sich nicht in einer ökonomischen, physischen oder psychischen
Zwangssituation befänden. Dies zu einem „Recht“ zu verklären macht sogar
aus Armut eine neoliberale Grundlage für Geschäfte. Dies kommt einer
Kapitulation jeglichen politischen Handelns vor Wirtschaftsinteressen
und –ideologien gleich. Was die Prostitution illegalisierter Personen
angeht, ist auch „legale Sexarbeit“ für diese Frauen keine Lösung: Sie
haben auch in ihr keine Möglichkeit, gewalttätige Freier oder
„Beischlafdiebstahl“ anzuzeigen. Es ist also nur ein weiteres
Strohmensch-Argument. Nichtsdestotrotz besteht Einigkeit darin, dass
eine Kriminalisierung sich prostituierender Personen in jedem Fall
ausgeschlossen werden, und deshalb Anti-Prostitutions-Politik deshalb
eben entschieden an der Nachfrageseite ansetzen muss.
Warum das Nordische Modell?
Das nordische Modell sieht Prostitution als Gewalt. Sämtliche Untersuchungen zum Thema zeigen ein unglaublich hohes Maß an Gewalt, dem die Frauen in der Prostitution ausgesetzt sind, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Situation für die oft sehr jungen Männer oder Transfrauen in der Prostitution anders ist. Studien zeigen auch eine auffällig hohe Anzahl an Misshandlungen – sexueller und anderer Art – in der Kindheit der betroffenen Personen. Ergebnisse aus der Traumaforschung und die Erfahrungen von Gruppen, die sich auch als selbst betroffene mit den Schäden auseinander setzen, die durch solche Erlebnisse verursacht werden[xviii], zeigen, wie diese Traumata in der Prostitution weiter wirken und verstärkt werden.
Prostitution ist außerdem ein Nährboden für skrupellose Geschäftemacher, die als „Beschützer“ auftreten oder als „Bieter wunderbarer Arbeitsplätze“ – so die Prostitutionslobby, die aber in Wirklichkeit auf Kosten der Frauen ihre Geschäfte machen.
Sie ist auch ein Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter. Sie beruht auf überholten Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und auf merkwürdigen, veralteten und repressiven Vorstellungen zu Sex. Gleichzeitig festigt sie diese, weil sie sie zur Rechtfertigung braucht. Zu ihr gehört der frauen- und männerverachtende Gedanke, dass ein Pool an Frauen zur Verfügung zu stehen hat, um die angeblichen sexuellen Bedürfnisse von Männern zu befriedigen. Die Botschaft der Prostitution lautet, dass Männer jederzeit mit irgendeiner Frau (oder einem anderen von ihrem Geld abhängigen Menschen) Sex haben können, solange sie dafür zahlen, dass der weibliche Körper zu ihrer Benutzung bereitsteht und dass sie ein Recht darauf haben, dass ihre sexuellen Wünsche erfüllt werden[xix]
Fußnoten
[i] http://rmott62.wordpress.com/
[ii] Der Spiegel 22/2013
[iii]
http://www.deutschlandradiokultur.de/kriminalexperte-prostitution-unter-21-jahren-verbieten.1008.de.html?dram:article_id=231500
[iv] http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-02/Griechenland-Prostitution-Interview
[v] Könshandeln: om prostituerrades villkor (Der Sexhandel: über die Lebensbedingungen der Prostituierten
[vi] Anna Skarhed: Förbud mot köp av sexuell tjänst. En utvardering 1999-2008
[vii]
Charlotta Holmström, Prostitution och människohandel för
sexuella ändamål i Sverige: Omfattning, förekomst och kunskapsproduction
[Prostitution and Trafficking for Sexual Purposes in Sweden: Extent,
Occurrence, and Knowledge Production], in Prostitution i Norden:
Forskningsrapport [Prostitution in the Nordic: Research Report] 303, 314
(Charlotta Holmström & May-Len Skilbrei eds., 2008).
[viii] Vortrag von Kommissar Simon Häggström bei der EWL: http://www.youtube.com/watch?v=o6O4xzzTqSU
[ix] http://www.nätverketpris.se/start-english.html
[x] Ulla Bjørndahl: Farflige forbindelser. en rapport om volden kvinner i prostitusjon i Oslo utsettes for. 2012
[xi] http://theprostitutionexperience.com/
[xii] Petra Östergren, Porr, horor och feminister [Porn, Whores, and Feminists] 168 (2006).
[xiii] http://frauensindkeineware.blogspot.com/p/blog-page.html
[xiv] http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=129653
[xv] http://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2009/07/20131122_IMV-Schiffer_Prositution-Medien.pdf
[xvi] http://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/1109.edle-retter.html
[xvii] http://diefreiheitsliebe.de/allgemein/prostitution-ist-kein-frauenproblem-2
[xviii]https://netzwerkb.org/2013/09/02/prostitution-kein-beruf-wie-jeder-andere/
[xix] http://www.cafebabel.co.uk/society/article/sweden-says-its-time-for-a-common-eu-position-on-prostitution.html
Verwendete Literatur
Gunilla Ekberg: The swedish law that prohibits the Purchase of sexual services. Best practices for Prevention of Prostitution and Trafficking in Human Beings, http://www.prostitutionresearch.com/pdf/EkbergVAW.pdf
Kajsa Ekis Ekman: Being and Being Bought: Prostitution, Surrogacy and the split self, Spinifex Press, 2014
Ane Stø und Asta Håland: The Crusade of the Prostitution Lobby, in: Trine Rogg Korsvik und Ane Stø: The Nordic Model, CreateSpace Independent Publishing Platform, 2013
Max Waltman: Prohibiting Sex Purchasing and ending trafficking: The swedish prostitution law, 2011, http://www.prostitutionresearch.com/pdfs/Waltman_ProhibitingSexPurchasingEndingTrafficking_MichJofInt%27lLaw33%282011%29.pdf