Kommentar zum Offenen Brief an Terre des Femmes
Terre des Femmes ist mit über 2000 Mitfrauen die größte Frauenrechtsorganisation Deutschlands. Nachdem kürzlich die alljährliche Mitfrauenversammlung stattgefunden hat, haben sich eine Reihe von Mitfrauen, 24 an der Zahl, in einem Offenen Brief an die Presse gewandt, und erheben in einem Rundumschlag schwere Vorwürfe: Terre des Femmes sei rassistisch, undemokratisch, „Sexarbeiterinnen“- und transfeindlich und respektiere unterschiedliche Feminismen nicht. Die Liste der Unterzeichnerinnen liest sich eindrucksvoll, befinden sich doch viele ehemalige Mitarbeiterinnen, Praktikantinnen und Referentinnen darunter.
Auf den ersten Blick wirft so etwas ein schlechtes Licht auf die Organisation. Zumal die TAZ, die ausführlich über den Vorfall berichtet, der Sichtweise der Gegenseite keinen Raum einräumt, wie es sich für eine seriöse Berichterstattung eigentlich gehören würde. Bei näherer Betrachtung des Inhaltes des Briefes, der Unterzeichnerinnen, sowie der Rekapitulation der jüngeren Historie des Vereins, stellt sich die Sachlage dann auch etwas anders dar.
Der Versuch einer Einordnung
Es fallen ein paar bekannte Unterzeichnerinnen aus dem liberalfeministischen Lager ins Auge, die sich in der Vergangenheit vor allem dadurch hervorgetan haben, dass sie sich für eine Entkriminalisierung der Prostitution einsetzen. Dazu muss man wissen:
2013 hatte Terre des Femmes noch keine klare Position zu Prostitution im Allgemeinen. Der Verein setzte sich zwar gegen Zwangsprostitution ein, die damalige Vorsitzende Irmingard Schewe-Gerigk, ihres Zeichens eine der Mit-KonstrukteurInnen des Prostitutionsgesetzes von 2001, sorgte jedoch mit ihren Äußerungen in der Talkshow „Maischberger“ für eine interne Rebellion: Negativ aufgestoßen hatte den Mitfrauen ihre Verteidigung des Gesetzes und von Prostitution als Beruf. Entsetzt waren viele über ihre zynischen und gefühlskalten Beiträge, insbesondere, da eine ehemalige Prostituierte an der Diskussion beteiligt war. Es lohnt sich dem Link zu folgen und sich diese Diskussion auf Youtube anzusehen, dann wird vermutlich klar, warum der Ärger so groß war.
Nicht nur hatte diese Talkshow und u.a. Schewe-Gerigks wütend machendes Verhalten einen Mobilisationseffekt für die gerade entstehende abolitionistische Bewegung in Deutschland insgesamt, auch innerhalb von Terre des Femmes löste sie eine Reihe von Ereignissen aus: Den Rücktritt von Schewe-Gerigk als Resultat der deutlichen internen Proteste und einen Beschluss von TdF für das Nordische Modell im April 2014. Dieser Beschluss war hart umkämpft, aber er fand letztlich eine demokratische Mehrheit. Ich kann mich selbst als Außenstehende noch erinnern, wie lange es dauerte bis die Geschäftsstellenmitarbeiterinnen ihre Sabotagehaltung aufgaben und den Beschluss schließlich auf der Webseite der Organisation veröffentlichten, und wie undemokratisch ich dies damals empfand, kenne ich solche Machtspielchen doch nur zu gut aus Organisationen in denen ich Mitglied bin.
Der Offene Brief enthält neben diesem in der Vergangenheit umstrittenen Thema letztlich die Kerndifferenzen zwischen Liberal- und Radikalfeminismus: Gender und Prostitution insbesondere, ein Stück weit auch das Thema Religion (darauf werde ich später nochmal oberflächlich eingehen)
Zum Demokratieverständnis der Verfasserinnen
„Es wurden über 30 Anträge auf Mitgliedschaft im Verein, die kurz vor der Mitfrauenversammlung gestellt wurden, nicht zugelassen. Die Begründung war, dass dies die Mehrheitsverhältnisse hätte ändern können“
Nun, es ist in jeder Organisation üblich, nicht kurz vor Wahlen oder wichtigen Versammlungen Neumitglieder aufzunehmen. Es ist das gute Recht einer Organisation dies auf danach zu verschieben. In meiner Partei gilt beispielsweise eine 6-Wochen-Regelung. Solche Regelungen dienen einerseits dazu sich (im Rahmen der Möglichkeiten) über die Interessentinnen schlau zu machen, vielleicht Gespräche mit diesen zu führen um sie und ihre Positionen kennenzulernen, aber eben auch dazu Entscheidungsverzerrungen zu verhindern. Das ist also nicht undemokratisch, sondern schlicht Standard. Darüber hinaus gibt es auch kein Anrecht darauf Mitglied in einem Verein oder einer Organisation werden zu dürfen, die Regeln dazu stehen in der jeweiligen Satzung. Es mutet demgegenüber in diesem Kontext eher fragwürdig an, wieso ausgerechnet kurz vor einer wichtigen jährlichen Versammlung mehrere Dutzend Mitgliedsanträge eingehen. Da muss die Frage doch erlaubt sein, ob hier ein Überraschungs-Unterwanderungs-Coup zur Durchsetzung anderer Positionen und Kandidatinnen für den Vorstand geplant war um eine Richtungsänderung zu erwirken. Dies von Personen, die nicht wie andere über einen längeren Zeitraum Mitgliedsbeiträge gezahlt haben, die, so profan das auch klingt, wichtig für den Bestand und die Arbeit sind.
Darüber hinaus distanzieren sich die Verfasserinnen von mehrheitlich beschlossenen Beschlüssen und gleich von Vorstand und Geschäftsstelle– das klingt nicht gerade nach einem guten Demokratieverständnis. Natürlich bleibt es unbenommen zu Themen andere Positionen einzunehmen und dies auch öffentlich kundzutun, jede/r hat ein Recht auf ein Minderheitenvotum. Ich persönlich habe dieses sehr wichtige Recht in der Vergangenheit sehr häufig und laut genutzt. Undemokratisch wird ein Beschluss jedoch nicht deshalb, weil mir der Inhalt nicht gefällt. Insofern mutet diese scharfe Formulierung doch befremdlich an, vor allem weil kurz darauf ein solidarisches Miteinander und der Respekt unterschiedlicher Positionen (beides hohe Güter!) eingefordert werden.
Haltung der Unterzeichnerinnen zum Thema Prostitution
Die Unterzeichnerinnen müssen sich schon fragen lassen, warum sie hier als Mitglieder einer Frauenrechtsorganisation die Position der Lobby der Sexindustrie vertreten. Gegen diese Positionierung haben sich erst im letzten Jahr mehr als 200 Prostitutionsüberlebendenverbände, Frauenrechtsorganisationen, abolitionistische Netzwerke und viele hochrangige Einzelpersonen gewandt, anlässlich einer Positionierung von Amnesty International, die nachweislich von Profiteuren der Sexindustrie beeinflusst war. Insbesondere deshalb, weil sich unter den Unterzeichnerinnen selbst ein Mitglied einer Organisation, ICRSE, befindet, in der ZuhälterInnen und MenschenhändlerInnen, ebenfalls belegbar, einen maßgeblichen Einfluss haben. (siehe auch)
Auch mutet der Vorwurf des Rassismus etwas merkwürdig an, wo eine weitere Unterzeichnerin in der Vergangenheit mit gegenüber Romnija als rassistisch zu wertenden Äußerungen aufgefallen ist:
“Wir bekommen nur Schlaglichter – wie die oben genannten – von dem mit, was wirklich passiert, und das durch die Brille von Reportern, Polizisten und Sozialarbeitern, die uns berichten. Sie alle bringen Moralvorstellungen mit, aber niemand von ihnen hat je als Prostituierte gearbeitet oder in einem anderen Land in absoluter Armut gelebt. Vielleicht fühlt es sich aus der Perspektive einer Romafrau, die im Elend lebt und rassistisch verfolgt wird tatsächlich selbstbestimmt an, in Deutschland als Sexarbeiterin zu arbeiten?”
“Niemand muss argumentieren, dass Sexarbeit ein begehrenswerter Beruf sei. Wie oft oder ob überhaupt Frauen und Männer in einer Situation, in der ihnen genug andere zureichende Optionen zur Verfügung stehen, sich für diese Tätigkeit entscheiden würden, das bleibt erst noch zu sehen. Denn dafür müssten wir erst eine Gesellschaftsordnung schaffen, die Menschen nicht aufgrund von Gender, Hautfarbe oder Nationalität marginalisiert. In einer Gesellschaft, die sich selbst respektiert, sollte das eigentlich Standard sein. So lange wir nicht in dieser Gesellschaft angekommen sind, wäre es vielleicht besser, jenen, die weniger privilegiert sind, als wir selbst zu überlassen, wo die Grenzen ihrer Menschenwürde verlaufen.”
Prima, jetzt werden also sogar Dinge wie Menschenwürde individuell verhandelt – und die mit weniger Privilegien, die sollen sich halt auch mit weniger Menschenwürde zufrieden geben. Wer solche Äußerungen tätigt, darf sich nicht wundern, wenn sie in Bezug auf Antirassismus nicht besonders ernst zu nehmen ist…
Das schwierige Thema Kopftuch
Ich mach keinen Hehl daraus, dass ich den Beschluss zum gesetzlichen Kopftuchverbot (wobei man sagen muss: der Beschluss von Terre des Femmes bezieht sich nur auf Minderjährige), mehr als problematisch finde. Ich lehne Bekleidungsvorschriften an Mädchen und Frauen grundsätzlich ab – in die eine oder in die andere Richtung. Ich teile die Meinung, dass ein Kopftuchverbot nicht politisch neutral wäre, sondern eine deutliche Positionierung des Staates (dem ich aus Sicht der Mädchen- und Frauenrechte als Feministin im Patriarchat grundsätzlich zumindest mal skeptisch gegenüberstehe) ist. Und ich finde, dass wenn man von dem Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung rausgeht (was zu diskutieren ist), dann dürfen Sanktionen nicht bei den Unterdrückten ansetzen.
Ich finde in der Debatte um das Kopftuch läuft – von beiden Seiten – so ziemlich alles schief. Weder trägt das Argument der Freiwilligkeit (kaum eine bis keine unserer Entscheidungen ist wirklich frei), noch die einseitige Dämonisierung. Ich kann die grundsätzlich kritische Haltung von Feministinnen an, zweifellos immer patriarchal dominierten, Religionen sehr gut nachvollziehen, dennoch finde ich die bisher vorgelegten Lösungen in Bezug auf die Kopftuchfrage von dieser Seite keinesfalls überzeugend, und ja, ich selbst habe derzeit auch noch keine. Wir wissen, dass es die Frauen und Mädchen gibt, die gezwungen werden Kopftuch oder Schleier zu tragen. Wir wissen aber auch, dass nicht hinter jeder Frau (Mädchen) ein Mann steht, der sie dazu zwingt es zu tun. Das gegenseitige Leugnen hilft niemandem weiter – und schon gar nicht den muslimischen Mädchen und Frauen. Es handelt sich jeweils um Stereotypisierungen, wobei wie in der Prostitution gilt: Diejenigen, denen es nicht gut mit etwas, dürfen nicht verleugnet werden und müssen in ihrem Kampf unterstützt werden. Für mich sind in diesem konkreten Fall einfach viel zu viele Fragen nicht geklärt (Wer bezahlt das Bußgeld? Welche Sanktionierung erfolgt, wenn ein Bußgeld nicht gezahlt wird? Knast? Wenn ja, wer geht dann da rein (Tipp: Übertragung auf Vater ist juristisch sowieso nicht denkbar)? Welche Konsequenzen hat ein solcher Verbot auf Mädchen und Frauen? usw.)
Natürlich, und da haben die Verfasserinnen Recht, ist es ein Problem, dass die Spitzenkandidatin der AfD , Alice Weidel, zeitgleich die gleiche Forderung vertritt, und wir brauchen auch nicht zu leugnen, dass es im Feminismus Vorurteile und Rassismen gibt – davon, das wissen wir auch, sind wir alle nicht gefeit. Jedoch: Zu ignorieren, dass auch muslimische Frauen an dieser Frage extrem gespalten sind, nimmt all jene Frauen mit muslimischem Hintergrund nicht ernst, die eine andere Position vertreten als man selbst
Demokratisch, solidarisch und feministisch geht anders
Aus einem inhaltlichen Dissenz sofort einen öffentlich formulierten Rassismusvorwurf zu erheben, ohne die tatsächlichen Beweggründe zu beachten, ist unredlich. Wünschenswert wäre es vielmehr solidarisch in den Dialog zu gehen und diese Diskussion so zu führen, dass sie allen muslimischen Frauen gerecht wird – ohne der anderen zu unterstellen ihr ginge es nicht um Bekämpfung patriarchaler Strukturen.
Als Mitglied in einer Organisation kommt es regelmäßig vor, dass mir Beschlüsse nicht gefallen. Daraus kann ich meine Konsequenzen ziehen. Zum Beispiel kann ich austreten, weil die Organisation meine Positionen nicht ausreichend vertritt. Oder ich kann versuchen mich in die Diskussion einzumischen und meine Mitstreiterinnen durch gute Argumente versuchen von meiner Position zu überzeugen. Dazu kann man sich als Mitfrau bei TdF in Arbeitskreisen einbringen, wenn es einem wichtig ist. Von den Unterzeichnerinnen hat dies meines Wissens niemand getan. Bei den Neueintritten muss die Frage erlaubt sein, warum sie in eine Organisation eintreten wollen, die sie inhaltlich so schrecklich finden?
Solidarisch, respektvoll und feministisch ist es nicht zur Presse zu laufen, einseitig meine Sicht der Dinge dort unterzubringen und zu meinen damit sei ich in den notwendigen Dialog getreten. Im Gegenteil: Alle Türen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit werden damit geschlossen. Streit und das Ringen um Mehrheiten gehört zu einer politischen Organisation dazu. Man sollte dabei nicht das gemeinsame Ziel aus den Augen verlieren und muss kompromissbereit sein. Der Offene Brief der Verfasserinnen leistet hierzu keinen Beitrag.