„Nicht alleine joggen gehen“ – Über eine fehlgeleitete Empörung

Browse By

Ich gehe regelmäßig wandern. Über Wiesen. Über Felder. Durch Wälder. In der Regel alleine. Am Wochenende war ich mit einer Freundin unterwegs. Wir unterhielten uns. Wir scherzten. Irgendwann sagte ich ernst zu ihr:

„Du, weißt du, was ich oft denke, wenn ich alleine unterwegs bin? Wenn ich all diese Zeitungsartikel lese über ermordete Joggerinnen und von SpaziergängerInnen oder WanderInnen, gefundene Frauenleichen im Wald? Oder die Leichenteile der armen prostituierten Maria in Hamburg, die AnwohnerInnen an der Elbe fanden? Ich hoffe immer, dass mir so etwas nicht passiert. Das ich nicht plötzlich über eine tote Frau stolpere. Das ist so eine Horrorvorstellung.“ Meine Freundin kannte diese Gedanken. Sie sagte mir, dass sie, wenn sie irgendwelchen finsteren Gestalten im Wald begegnet, auch als erstes an die Entsorgung einer Leiche denkt.

Kurz darauf geht das durch die Medien: Ein Mann vergewaltigt eine Frau in Leipzig auf brutalste Art und Weise. Er geht so brutal vor, dass „selbst erfahrene Polizeibeamte“ geschockt sind. Aufgrund der Tatsache, dass es in den letzten drei Wochen zwei weitere Fälle sexueller Übergriffe gegeben hat, geht die Polizei von einem Serientäter aus und gab als Empfehlung an Frauen aus: „Es wäre besser, zu zweit joggen zu gehen, oder zumindest zu schauen, ob immer jemand anderes irgendwo in der Nähe ist“.

Ein Aufruhr geht durchs Land. Der Vorwurf: Die Polizei mache Frauen für ihre eigene Sicherheit verantwortlich. Von Victim Blaming ist die Rede. Sibel Schick schreibt in der TAZ:

„Die Verantwortung der Polizei liegt nicht darin, Frauen Angst zu machen und sie so versuchen aus dem öffentlichen Raum auszuschließen, sondern darin, sie zu schützen. Wer zu Hause bleiben sollte, sind die Vergewaltiger – nicht die Frauen.“

Ich bin verwirrt und muss mich erstmal im Gespräch mit Freundinnen versichern, dass es mir nicht alleine so geht. Anders als seinerzeit in Toronto, wo der Polizist Michael Sanguinetti die Auffassung vertrat, dass „Frauen vermeiden sollten, sich wie Schlampen anzuziehen, um nicht zum Opfer zu werden”, machte die Polizei in Leipzig doch gar nicht die vergewaltigte Frau für das, was ihr angetan wurde, verantwortlich. Sie sprach eine begründete, anlassbezogene Sicherheitswarnung vor einer akuten Gefahr für Frauen in einem bestimmten Gebiet aus.

Schick hat ja vollkommen Recht, wenn sie sagt:

„Wenn die Frauen anfangen einfach zu Hause zu bleiben, weil sie nicht vergewaltigt werden wollen (egal von wem), wird ihr Zugang zur Öffentlichkeit und somit zum Leben und zur Welt begrenzt. Für all die Generationen der Frauen, die lange für einen Platz in der Öffentlichkeit gekämpft haben und noch immer kämpfen, für alle Frauen in der Welt wäre das eine Niederlage.“

Auch hier gehe ich zu 100 % mit:

„Wenn unser Lebensstil angegriffen wird, können wir uns solidarisieren. Wie nach Terroranschlägen brauchen wir klare Zeichen.“

Problematisch finde ich das, was danach kommt:

„Das lassen wir uns nicht gefallen. Wir sollten die Straßen und die Plätze besetzen, raus gehen, es ablehnen, uns an Gewalt zu gewöhnen und in Angst zu leben.“

Und dann die Aufforderung im letzten Satz

„Genau jetzt ist die Zeit für Frauen, joggen zu gehen.“

Dies halte ich genau wie die Empörung über die Aussage des Polizeipressesprechers für fehlgeleitet, denn:

Der öffentliche Raum I S T uns doch längst genommen. Sexuelle (und andere) Gewalt durch Männer an Frauen ist allgegenwärtig. Sie bestimmt – bewusst oder unbewusst – längst unseren Alltag. Denn sexuelle (und andere) Gewalt durch Männer ist Terrorismus: Wir erwarten sie immer und überall, treffen Vorsichtsmaßnahmen, meiden dunkle Gassen und bestimmte Stadtteile – und am häufigsten trifft sie uns dort, wo wir sie am wenigsten gebrauchen können und wo es eigentlich am sichersten sein sollte: In unserem eigenen Zuhause. Kathleen Barry schreibt dazu:

„Sexuelle Terrorisierung ist etwas, womit Frauen leben müssen, selbst wenn wir nicht ihre direkten Opfer sind. […]  Sexuelle Gewalt ist […] eine Ausschreitung, die in ihrem Potential, ihrem Umfang und ihrer Stärke unbegrenzt ist und daher Opfer wie Nichtopfer gleichermaßen in Schrecken hält. Terrorismus geht über die individuelle Erfahrung sexueller Gewalt hinaus. Er erzeugt einen Gemüts- und Bewusstseinszustand, der alle, die eventuell mit ihm in Berührung kommen können, gefangen hält. Terrorismus bringt Menschen dazu, ihr Leben umzugestalten […] Menschen werden zu einer Lebensart gezwungen, die sie normalerweise nicht wählen würden […] Terror – manchmal offen ausgedrückt, doch meistens stillschweigend erkannt – schleicht sich in die Leben von Menschen ein, oft durch etwas „Gewusstes“, aber nie Geäußertes […] Sexueller Terrorismus ist für Frauen etwas geworden, womit wir leben müssen“

Kathleen Barry – Sexuelle Versklavung von Frauen

WIR können leider nicht einfach entscheiden „es abzulehnen, uns an Gewalt zu gewöhnen und in Angst zu leben“, denn es liegt schlicht nicht in unseren Händen, sondern in den Händen der Geschlechter-Klasse, die uns mit ihrer Gewalt terrorisiert. Der Polizei vorzuwerfen, dass sie vor einem mutmaßlichen Serientäter warnt, ist absurd. Eine Freundin sagte dazu: “Das ist so, wie wenn es irgendwo brennt und man sich beschwert, dass man da jetzt nicht in das Haus kann.”

Ja verdammt, wir brauchen eine Debatte darüber, warum der öffentliche Raum nicht sicher ist für Frauen. Nach Köln schrieb ich bereits über den öffentlichen Raum als  “No-Go-Areas für Frauen”. Wir brauchen eine Debatte darüber, dass täglich Frauen in diesem Land von Männern geschlagen, vergewaltigt und ermordet werden. Wir brauchen eine Empörung, darüber, dass die Gesellschaft diese immer nur als singuläre Einzelereignisse betrachtet, als „Familiendrama“ oder „Beziehungsdrama“ euphemisiert und diejenigen, die uns das antun, die Männer, in dieser Gesellschaft doch nur in den wenigsten Fällen ernsthafte Konsequenzen zu erwarten haben und die Verurteilungsquote bei Vergewaltigungen immer weiter sinkt.

Ich bin nicht wütend, wenn mich jemand vor einem potentiellen Gewalttäter warnt. Ich bin vielmehr wütend darüber, dass die Gefahr die von Männern für Frauen ausgeht immer wieder klein oder weggeredet wird. Wenn mal wieder behauptet wird, dass die kommerzialisierte sexuelle Gewalt an prostituierten Frauen (also das, was manche, auch die Taz, so gerne als „Sexarbeit“ verklären), wichtig ist, weil sie uns „andere“ Frauen ja angeblich vor Vergewaltigung schützt. Wenn mal wieder behauptet wird, dass Pornokonsum keine Auswirkungen auf das Sexualverhalten der Männer, unserer potentiellen Sexualpartner, habe, obwohl Studien den Zusammenhang zu sexueller Gewalt belegen. Wenn mir gesagt wird, dass von dem Typen, der mich auf meiner Arbeit überfällt, ja keine Gefahr ausgeht, weil er ja „nur psychisch krank“ ist und man mich auf den Privatklageweg verweist. Ich könnte die Liste endlos weiterführen.

Wenn es im Text heißt „Wer zu Hause bleiben sollte, sind die Vergewaltiger – nicht die Frauen.“ dann ist das richtig. Sehr, sehr richtig. Die bleiben jedoch nicht einfach so zu Hause (hoffentlich allein), weil wir sie lieb darum bitten, sondern da müssen wir als Gesellschaft schon ein bisschen mehr für tun.

Wie ich gerade gelernt habe – muahahaha –  bin ich als Abolitionistin ja seit neuestem eine Verfechterin des Polizeistaats und der Repression. Hier ein paar extrem repressive Sachen, die ich gut fände gegen männlichen Gewalt-Terrorismus, denn ein hart erarbeiteter Ruf muss schließlich verteidigt werden:

Ich kann mir sehr gut vorstellen, …

… dass Männer, die sich Frauen zur sexuellen Benutzung kaufen, mit Bußgeldern und Gefängnisstrafen belegt werden (wie zum Beispiel in Schweden) – auch wenn sie das im Ausland tun (wie zum Beispiel in Norwegen).

… dass ihre DNA mit der DNA von ungeklärten Sexualverbrechen abgeglichen wird um mehr davon aufzuklären (wie in Schweden).

… dass diese Freier registriert werden und ihre Fotos veröffentlicht werden (wie in manchen Staaten der USA), damit wir wissen um wen wir wegen erwiesener mangelnder Grenzwahrungsfähigkeit einen großen Bogen machen sollten

… dass uns gesagt wird, wenn ein verurteilter Sexualstraftäter in meiner Nachbarschaft einzieht (wie in manchen Staaten der USA), weil unser Schutz vor Gewalt irgendwie wichtiger ist als seine Persönlichkeitsrechte

… dass Partner uns zu Beginn einer Beziehung, also bevor wir schon Lebensenergie und Emotionen in sie “investiert” haben, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, aus dem hervorgeht, ob sie bereits Gewalt-Vorstrafen haben, wie eine Freundin neulich vorschlug.

… dass man als Frau gewarnt wird vor missbräuchlichen Verhaltensweisen seiner Mitmänner und sexuelle Gewalttäter aus ihrer Anonymität gerissen werden (wie im Fall von WOLF DOWN)

… dass man durchaus mal, wie die kanadische Feministin Meghan Murphy, über Ausgangssperren für Männer nachdenken darf

… dass man nach gewaltvollen Ausschreitungen ruhig häufiger mal Männer von öffentlichen Ereignissen ausschließen könnte, wie öfter mal in der türkischen Fussballprofiliga praktiziert

… dass sowas ja auch als Maßnahme für Festivals gelten könnte, bevor man diese, wie das Bråvalla-Festival in Schweden, gleich ganz absagt

… usw. usw.

Klingt hart? Ja, so ist es, das Leben. Hart. Hart und unerbittlich. In erster Linie für uns Frauen, aber auch für alle anderen Leidtragenden der patriarchalen Gewaltausbrüche, in ihren vielfältigsten Formen.

Ich glaube jedoch fest daran, dass gesellschaftliche Ächtung und Sanktionierung von männlicher Gewalt gegen Frauen wesentlich effektiver ist, als der trotzige Versuch des Reclaimen des öffentlichen Raumes – während gleichzeitig für die Täter und passiven Bystander in dieser Gesellschaft alles bleibt wie es ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.