Man kann nun wirklich nicht sagen, dass Mithu Sanyal durch ihren empörenden Vorschlag, Opfer sexueller Gewalt wertneutral als Erlebende zu bezeichnen (da man ja nicht wisse, wie sie die ihnen angetane Tat selbst einordnen) und der daraus folgenden, erhitzten Debatte irgend etwas an Reputation eingebüßt hat.
Ganz im Gegenteil, sie bekam nachdem belegbar aus rechten Kreisen gegen sie lancierten Shitstorm – gegen den Radikalfeministinnen sie trotz inhaltlicher Kritik verteidigten und denen sie dennoch den schwarzen Peter zuschob und als Initatorinnen von Vergewaltigungsdrohungen bezichtigte (und damit aktiven Täterschutz betrieb) sehr viel trostspendende Anerkennung.
Während sie ein Interview nach dem anderen geben durfte, interessierte man sich im medialen Mainstream so gut wie nicht für die Position der Initatorinnen, des sich kritisch mit ihren Positionen auseinandersetzenden Offenen Briefes – darunter zahlreiche Betroffene sexueller Gewalt. Während ihr und ihrer Sichtweise also breiter Raum eingeräumt wurde, ignorierte man die Gegenseite so gut es ging. Die TAZ richtete sogar derweil eine eigene Kolumne mit dem Titel „Mithulogie“ für Sanyal ein, Titel wie „Das Piss-Manifest“ lassen den inhaltlichen Tiefgang bereits erahnen.
Zum Tode Hugh Hefners, dem Playboy-Gründer, der Nacktfotos von Marilyn Monroe auf dem Cover seines Magazins ohne deren Konsens abdruckte, der mit Fotos von Minderjährigen pädokriminelle Fantasien anheizte und legitimierte und über den wir von ehemaligen „Bunnies“ erfahren, wie mies er sie behandelte und dass er die von Bill Cosby gerne für seine sexuellen Gewalttaten eingesetzten KO-Tropfen als „Schenkelöffner“ bezeichnete, bescherte sie diesem Frauenfeind einen äußerst wohlwollenden Nachruf:
„Hugh Hefner habe sich bereits in den 1950er- und 60er-Jahren für Empfängnisverhütung und Abtreibung eingesetzt, betont Mithu Sanyal. Er habe sich später auch für die Ehe für alle und gegen Waffen und die Todesstrafe ausgesprochen. “Frauen haben ein eigenes sexuelles Begehren”, habe Hefner in einer Zeit gesagt, als das noch undenkbar war. “Die Playmates haben einem immer in die Augen geguckt. Die hat man nicht irgendwie beobachtet, sondern die haben einen angeguckt und gesagt: Hey, ich will was aktiv!”
Auf ihrer Facebook-Seite schreibt sie allen ernstes:
„Denn der Ober-Playboy und Viagra-Fan Hugh Hefner ist durchaus eine faszinierende, komplexe Figur. Ja, der Playboy ist auch sexistisch, aber er ist eben auch feministisch – zumindest wenn es nach Hugh Hefner geht.“
Kein Wort auch darüber, dass Hefner eng mit der Mafia verbunden war, darunter Linda Boremans Zuhälter und Ehemann Chuck Traynor, dass er einen maßgeblichen Anteil an dem Vorantreiben der Objektifizierung von Frauen trug oder auch nur den Hauch einer Ahnung davon, welche Vorteile sein Kampf für Abtreibungsrechte vielleicht für Männer, die Frauen sexuell ausbeuten wollen, haben könnte. Immer wieder erwische ich mich dabei, mich zu fragen ob Sanyal und die Liberalfeministinnen die Zusammenhänge wirklich NICHT SEHEN, aus Blindheit oder Unvermögen, oder ob sie BEWUSST UND AKTIV den Boden für das Patriarchat ebnen.
Aber damit noch nicht genug. Aktuell erfahren wir:
„Mithu Melanie Sanyal wird in diesem Herbst mit dem Sonderpreis im Rahmen des Programms “Geisteswissenschaften International” ausgezeichnet − für ihre Analyse “Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens” (Edition Nautilus). Dabei handelt es sich um den Preis zur Förderung herausragender geistes- und sozialwissenschaftlicher Publikationen, wie der Börsenverein mitteilt. In der Jurybegründung heißt es: “Mithu Sanyal hat eine erhellende Analyse über die Narrative der Vergewaltigung geschrieben – ein Plädoyer für eine neue Konsenskultur der Grenzen wie der Lust.”
Die Preistragenden dürfen sich über eine Übersetzungsfinanzierung ins Englische freuen – damit werden Sanyals Thesen dann demnächst auch im englischsprachigen Raum Wellen schlagen. Wun-der-bar, darauf hat die Welt ja nur gewartet.
Interessant: Neben den üblichen liberalfeministischen Verdächtigen gratuliert auch der prominente Männerrechtler Arne Hoffmann Sanyal auf deren Facebookseite zum Preis: „Exzellent und wohlverdient! Auch von mir herzlichen Glückwunsch!“ – In Sanyals Antwort lesen wir: „Danke! Und ich wollte mich ja auch noch wegen unserem Projekt melden. Habe das tolle Buch von Laura Kipnis gelesen: Unwanted Advances. Sexual Paranoia comes to Campus.“
Gemeinsame Projekte von Feministinnen mit Männerrechtlern? Was ist denn da los? Hoffmann rief aktuell zur Bundestagswahl zur Wahl jener Partei auf, die sich besonders stark für das mütterfeindliche Wechselmodell als Regelfall einsetzt. Hoffmann schreibt auch für das rechte Online-Magazin „Eigentümlich frei“ und das ebenfalls eindeutig rechte Magazin Kopp Online. Darüber hinaus betreibt er den Maskulisten-Blog „Genderama“, wo er auch regelmäßig auf die Rechtspostille Junge Freiheit verlinkt.
Hinrich Rosenbrock schrieb in seiner Analyse „Die antifeministische Männerrechtsbewegung. Denkweisen, Netzwerke und Online-Mobilisierung.“ unter anderem folgendes über Hoffmann:
„Arne Hoffmann ist Mitglied bei MANNdat und Gründungsmitglied bei agens. Außerdem war er in der AG Männer. Männerpolitische Initiative der Piratenpartei aktiv, in der sich eine Reihe von antifeministischen Aktivist/innen bewegen. Sein Buch „Sind Frauen die besseren Menschen?“ sieht er selbst als Initialzündung der «neueren Männerbewegung» in Deutschland. Arne Hoffmann kann als Vordenker der antifeministischen Männerrechtsbewegung bezeichnet werden.“
Hoffmann behauptet, dass häusliche Gewalt in Wahrheit weiblich sei, konstatiert Männerfeindlichkeit in den Medien, die auf einer Dominanz der männerhassenden Frauenbewegung in den Medien beruhe, und behauptet außerdem bei der Lohndiskriminierung von Frauen handele es sich um einen Mythos. Darüber hinaus fiel Hoffmann in Bezug auf das Thema sexueller Gewalt insbesondere bisher damit auf, dass er die Quote von Falschbeschuldigungen durch Faktenverdrehungen als exorbitant hoch darstellte. Rosenbrock dazu:
„So behauptet Arne Hoffmann bei eigentümlich frei, dass eine Untersuchung des Bayerischen LKA von einer hohen Zahl an Falschbeschuldigungen ausgehe. Dies versucht er mit dem Zitat: «Alle Sachbearbeiter von Sexualdelikten sind sich einig, dass deutlich mehr als die Hälfte der angezeigten Sexualstraftaten vorgetäuscht werden» zu belegen. Dabei wird dieser Satz in der Untersuchung nur genannt, um auf die Einstellung vieler Sachbearbeiter/innen hinzuweisen. Insgesamt kommt sie zu dem Ergebnis, dass nur 7,4 Prozent der Anzeigen bei Vergewaltigung eine Anzeige wegen Falschbeschuldigung nach sich ziehen. Bezieht man noch die Dunkelziffer in Bezug auf Vergewaltigungen mit ein, so ergibt sich eine Anzeige wegen Vortäuschung oder falscher Verdächtigung auf 38 bis 125 reale Vergewaltigungen. Hier wird deutlich, dass Arne Hoffmann mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten die männliche Opferideologie stärkt und Vergewaltigungsopfer tendenziell diskreditiert.“
Bereits im Februar verabredete Sanyal mit einem anderen Männerrechtler, Christian Schmidt, dem Betreiber der Internetseite „Alles Evolution“, ein Interview. Sie schrieb auf Twitter an Schmidt: „Hi, du hattest auf meinen Tweet geantwortet. Kann ich dich zu deinen Gedanken mal interviewen?“. Schmidt antwortete mit „aber sicher!“ und „wann immer es dir passt“.
Wirklich überraschen kann uns Sanyals Dialog mit Maskulisten eigentlich nicht. Denn bereits im März 2016 konnten wir beim Deutschlandfunk lesen:
„Es sei wichtig, zwischen zwei Gruppen zu differenzieren, sagt Sanyal: Zum einen seien da die Antifeministen, die wirklich explizit gegen die Gleichberechtigung und die Vielfalt der Geschlechter sind. Die Anti-Feministen seien organisiert. Sie verabreden sich über Onlineforen, um zum Beispiel gezielt bei bestimmten Themen Kommentare zu posten. Und dann gebe es noch die Männerrechtler, die ein echtes Anliegen haben, das man natürlich auch Ernst nehmen müsse.“
Immer wieder wird von radikalfeministischer Seite angemerkt, dass Liberalfeminismus nicht darauf ausgerichtet ist, das patriarchale System abzulösen, sondern vielmehr Frauen dazu zu „empowern“ IM System mit Männern in den Wettstreit treten zu können, damit einzelne ein paar Krumen vom vergifteten, patriarchalen Kuchen abbekommen.
Immer häufiger wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass Liberalfeminismus nicht nur nichts zu wirklicher Frauenbefreiung beiträgt, sondern tatsächlich auch konkret antifeministisch agiert. Sei es durch die aktive Verklärung von Prostitution und Pornographie zu „Sexarbeit“, oder durch die Legitimierung von sexuellen Gewalthandlungen, wie zum Beispiel im BDSM, dadurch, dass Frauen zum Beispiel aufgrund von sexueller Sozialisation und Porn Culture jenen Gewalthandlungen aktiv zugestimmt haben.
Man fragt sich schon, was die Jury des Börsenvereins umtreibt, wenn sie beim Thema Vergewaltigung „Eine neue Konsenskultur der Grenzen wie der Lust“ lobt. Jeder klar denkende Mensch muss sich doch fragen, wie man überhaupt Vergewaltigung in einem Satz mit Lust denken kann? Mundgerechter kann man dem Patriarchat die Vorarbeit wohl nicht abnehmen.
Das von Sanyal im Gespräch mit Hoffmann für gut befundene Buch von Laura Kipnis lässt im Übrigen für die nahe Zukunft neues Ungemach vermuten: Kipnis konstatiert eine sexuelle Paranoia an amerikanischen Universitäten und statt der Anerkenntnis von PTSD (PTBS) und der Reinszenierung von erlebten Traumata und Traumabindungen bei Opfern sexueller Gewalt an den Tätern ist sie der Meinung, dass Opfer die an ihnen verübte Gewalt ja vielleicht doch auch mögen. Kipnis spricht sich, wie Sanyal, gegen eine „Opferkultur“ aus, und ist der Meinung, dass junge Mädchen und Frauen eigenständig mit Machtungleichgewichten klar kommen können (Zauberwort „agency“) und dafür keine staatlichen Interventionen brauchen. Hier haben sich offenbar zwei waschechte Vergewaltigungs-Apologetinnen gefunden…