Buch: Pornographie. Männer beherrschen Frauen (Andrea Dworkin)
„Pornographie“ wurde 1979 von der radikalfeministischen Vordenkerin und Soziologin Andrea Dworkin geschrieben und erschien 1987 in deutscher Sprache im Fischer Taschenbuch Verlag in der Reihe „Die Frau in der Gesellschaft“. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich halte dieses Buch für eines der klügsten, scharfsinnigsten und wichtigsten Bücher, die ich jemals gelesen habe. 38, bzw. 30 Jahre später müssen wir feststellen, dass unsere Gesellschaft heute eine andere sein könnte, hätte man Andrea seinerzeit zugehört und die notwendigen Konsequenzen aus den erkannten Fehlentwicklungen gezogen.
In ihrem Vorwort zur deutsche Ausgabe beschreibt Alice Schwarzer die neue Entwicklung wie folgt:
„Wie schon andere Feministinnen vor ihr, entlarvt auch Dworkin (die Feministin mit der linken Vergangenheit) die Rolle der Linken […] als besonders zynisch: Sie benutzt und erniedrigt die Frauen auch noch im Namen der (sexuellen) Freiheit. Ihre konservativen Väter genossen sexuelle Dienstleistungen noch hinter bigott verschlossenen Türen. Ihre Söhne stehen öffentlich dazu: Nutten-Look und Zuhälter-Attitüde beherrschen die Szene, die Mutter-Hure feiert ihre Wiederauferstehung in den Kultfilmen der Intelligenzia […], die Bukowskis bleiben WG-Bestseller, Peep-Shows und Puffs sind „geil““ (S. 11f)
Erst durch Andrea Dworkin (seinerzeit die Lektüre der Rede „Women Hating Left and Right“) habe ich, als linke Feministin, die sich gegen die Sexindustrie engagiert, verstanden, dass der Gegenwind, der einem aus den eigenen politischen Zusammenhängen entgegenschlägt kein Zufall oder eine deutsche Besonderheit ist, sondern, dass sehr viele Feministinnen vor mir / vor uns die gleichen bitteren Enttäuschungen machen mussten.
Pornographie kann nicht getrennt betrachtet werden von Prostitution, worauf ihre griechische Sprachwurzel bereits hinweist, „die schriftliche und bildliche Darstellung von Huren“. Diesem Phänomen widmete sich Dworkin in einem ausführlichen, tiefgehenden und schmerzhaften Studium. Sie beschreibt wie sie durch die Pornographie lernte die Welt durch die Brille der Pornographen und ihrer Konsumenten zu sehen, sie beschreibt wie sie lernte, Alltagsgegenstände (Türöffnungen, Elektrokabel, Telefone, …) als sexualisierte Gegenstände wahrzunehmen, mit denen Frauen gequält werden können – und werden. Sie beschreibt eindrücklich, was dieses Studium mit ihr als Mensch gemacht hat:
„Früher war ich eine hoffnungsvolle Radikale. Das ist jetzt vorbei, Die Pornographie hat mich infiziert, Einst war ich ein Kind und träumte von Freiheit. Jetzt bin ich erwachsen und sehe, was aus meinen Träumen geworden ist: Pornographie“ (S. 17)
Ihre Motivation für das Buch beschreibt sie wie folgt:
„Als Autorin, die sich der Welt verpflichtet fühlt […] beschloss ich, dass Frauen das sehen sollten, was ich sah. Das mag wohl die rücksichtsloseste Entscheidung sein, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Aber […] es war die einzige Möglichkeit, über mein Thema zu triumphieren – indem ich es aufdeckte, umgestaltete, zu etwas werden ließ, dass wir definieren und benützen, anstatt uns weiterhin von ihm definieren und benützen zu lassen. […] Indem ich mich dem Alptraum stelle, will ich es einer anderen Generation von Frauen ermöglichen, die Träume von Freiheit wieder aufzunehmen, die mir die Pornographie genommen hat.“ (ebd.)
Andrea Dworkin bewertet Pornographie nicht losgelöst von der Gesellschaft, sondern weist darauf hin, dass die Werte, die sich in pornographischen Werken widerspiegeln, jene Werte sind die Geltung haben, in der Welt drum herum. Sie schreibt:
„Die Bewertung von Frauen in der Pornographie ist zweitrangig, dient ihre Herabsetzung doch dazu, männliche Macht zu verkünden, auszuüben und zu preisen. Männliche Macht, die Frauen degradiert, befasst sich in erster Linie mit sich selbst, mit ihrer Verewigung, Vergrößerung, Festigung und Erhöhung.“
Sie weist darauf hin, dass Pornographie nicht ohne Wirkung auf die Betrachterin bleibt und bei dieser Angst auslöst, denn die Tatsache, dass solche Bilder veröffentlicht werden und von Millionen Männern ohne Widerspruch konsumiert werden, zeigt allen Frauen, dass dieses dort sichtbare Grauen von ihnen nicht als Grauen aufgefasst wird.
Anknüpfend an Shulamith Firestone weist sie auf die Sozialisation des Jungen in seine Rolle als Mann hin: Er hat die Wahl der Mutter gegenüber loyal zu bleiben, „oder aber ein Mann zu werden, einer, der über die Macht und das Recht verfügt, zu verletzen, Gewalt anzuwenden, seinen Willen und seine körperliche Stärke über und gegen Frauen und Kinder einzusetzen“. Er hat die Wahl zwischen ficken und gefickt werden. (S. 63)
„Der Knabe versucht, es dem Vater gleichzutun, weil es sicherer ist, wie der Vater zu sein. […] Er distanziert sich von der Machtlosigkeit, die Frauen als Klasse zugeschrieben wird. Der Knabe wird ein Mann, indem er sich – so gut er eben kann – das Verhalten von Männern aneignet. […] Knaben werden Männer, um dem Schicksal des Opfers zu entgehen. Mädchen würden Männer werden, wenn sie es könnten, denn es würde Freiheit bedeuten. […] Freiheit von männlicher Aggression, die sich im Privatleben und in der gesamten Kultur gegen Frauen richtet“ (S. 64f)
Dworkin beschreibt Gewalt als Komponente männlicher Identität, weshalb Männer auch dann mit ihr ins Reine kommen müssen, wenn sie selbst unter Umständen zu ihrem Opfer werden. (S. 66) Sie verweist auf eine Studie des Kinsey-Instituts welches feststellte, dass die männliche Vorliebe für Gewalt in der Sexualität nicht eine Ausnahme, sondern normativ sei. Sie schrieben: „Wenn wir jedes strafbare sexuelle Verhalten als Sexualdelikt etikettierten, würden wir uns in der lächerlichen Situation befinden, dass die gesamte männliche Geschichte voller Sexualtäter wäre“ (S. 67)
Hinlänglich analysiert Dworkin das Erbe des Marquis de Sade, der von linken Intellektuellen zelebriert wurde, obwohl er „Schläger, Vergewaltiger, Entführer und Kinderschänder“ war (S. 88):
„Im Alter von 15 Jahren […] begann er anscheinend mit Glücksspielen und Bordellbesuchen. Frauen zu kaufen war eine der größten Leidenschaften seines Lebens, und die meisten Frauen und Mädchen, die er während seines Lebens missbrauchte, waren Huren oder Dienstbotinnen. […] Sades Misshandlungen an Prostituierten nahmen ein so alarmierendes Ausmaß an, dass die Polizei […] Kupplerinnen davor warnte, Sade mit Frauen zu versorgen.“ (S. 90, 92)
Seine Biographen stellten es jedoch so dar, als stünden die Grausamkeiten seiner Dichtung im krassen Widerspruch zu seinem Leben. (S. 101)
Dworkin sieht die Forderung linker Männer nach „freier Liebe“ und „freien Frauen“ als Euphemismus für die Idee von de Sade Staatsbordelle einzuführen, in denen alle Frauen gezwungen seien ihre Dienste anzubieten. (S. 121) Sie konstatiert:
„Sades Werk verkörpert die gewöhnlichen Werte und Wünsche von Männern […] Sades Bedeutung […] ist nicht jene eines Dissidenten oder Abweichlers: Sie ist die eines Jedermann. Eine Zuordnung, die der machthungrige Aristokrat als abstoßen empfunden hätte, die aber von Frauen, die genauer hinsehen, als wahr erkannt wird. Sade enthüllt die Richtigkeit der Gleichung: Die Macht des Pornographen ist die Macht des Vergewaltigers/Schlägers, ist die Macht des Mannes“ (S. 122f)
Die Durchsetzung männlicher Macht beruht nach Dworkin im wesentlichen auf der Illusion, dass Frauen frei handeln:
„Was Frauen in ihrer Privatheit tun wollen, stimmt zufällig mit dem überein, was Männer von ihnen verlangen“ (S. 164)
Dworkin sieht in dem Narrativ, dass Frauen „es so wollen“ die Ermöglichung der systematischen Gewalt gegen Frauen:
„Das Wesen von Vergewaltigung liegt […] in der felsenfesten Überzeugung, dass keine Frau Opfer ist, egal wie sehr sie durch das, was sie tut, entwürdigt wird. Wenn Dirnenhaftigkeit das Wesen der Frau ist, dann kann etwas, das dieses Wesen enthüllt, sie weder verletzen noch zum Opfer machen. Das Wesen von Vergewaltigung liegt in der Überzeugung, dass [Pornographie] eine weibliche Sexualität wiedergibt, die unabhängig ist von männlicher Macht, außerhalb der Grenzen männlicher Vorherrschaft existiert, unbeschmutzt ist von männlicher Gewalt“ (S. 166)
Dworkin, selbst jüdischer Herkunft, verweist auf die besondere Rolle, die die Sexualisierung von Jüdinnen in der Geschichte der Pornographie einnimmt und bezeichnet weder dies, noch die Tatsache, dass den US-Herausgebern des Playboy, die deutschen Ausgaben des Magazins am besten gefallen, als Zufall. (S. 168, 170ff):
„Die Sexualisierung der Jüdin […] bildet das Paradigma für die Sexualisierung aller rassisch oder ethnisch degradierten Frauen […] Hitler stellte den jüdischen Mann als Vergewaltiger und Schänder arischer Frauen dar. Er schuf das Bild der jüdischen Frau als Dirne, wild, promiskuös, die sinnliche Antithese zur arischen Frau, die blond und rein war. Sowohl männliche wie weibliche Juden wurden als sexuell bestialisch dargestellt. (S. 172, 176)
Im Folgenden möchte ich sehr ausführlich zitieren, denn die Brillianz einer Andrea Dworkin, Dinge auf den Punkt zu bringen ist unbeschreiblich. Zum einen geht es mir darum, dass Leserinnen sehen welche ungeheure Kraft ihre Worte und ihre Sprache haben, zum anderen ist es meines Erachtens gar nicht möglich diese essentiellen Dinge die sie schreibt sinnig zusammenzufassen, ohne dass etwas davon verlorengeht.
Über die Ethymologie von Pornographie schreibt Andrea Dworkin:
„Das Wort Pornographie, abgeleitet vom altgriechischen porne and graphos bedeutet „über Huren schreiben“. Porne bedeutet „Hure“, und zwar spezifisch und ausschließlich die unterste Klasse der Huren, was im antiken Griechenland die Bordellschlampe war, die allen männlichen Bürgern zur Verfügung stand. Die porne war die billigste (im wörtlichen Sinn), am wenigsten respektierte, am wenigsten beschützte aller Frauen, einschließlich der Sklavinnen. Sie war einfach, ganz eindeutig, ganz absolut eine sexuelle Sklavin“ […] Das Wort Pornographie bedeutet nicht „über Sexualität schreiben“ oder „Darstellung des Erotischen“ oder „Darstellung sexueller Handlungen“ oder „Darstellung nackter Körper“ oder „Wiedergabe sexueller Dinge“ oder irgendeinen anderen Euphemismus dieser Art. Es bedeutet die schriftliche und bildliche Darstellung von Frauen als wertlose Huren. Im antiken Griechenland galten nicht alle Prostituierten als wertlos: nur die porneia. Die zeitgenössische Pornographie hält sich streng an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes: die schriftliche und bildliche Darstellung von Huren, oder, in unserer Sprache von Schlampen, […] Votzen. Das Wort hat seine Bedeutung nicht verändert, das Genre trägt keinen falschen Namen“ (S. 240)
Sie weist darauf hin, dass Prostitution außerhalb des Patriarchats undenkbar ist, denn:
„Huren kann es nur im Rahmen männlicher sexueller Herrschaft geben. Außerhalb dieses Rahmens wäre der Begriff Hure absurd, die Benützung von Frauen als Huren undenkbar. Das Wort Hure ist außerhalb des Lexikons der Männerherrschaft unverständlich. Männer haben die Gruppe, den Typus, das Konzept, die Bezeichnung, die Beschimpfung, die Industrie, den Handel, die Ware, die Realität der Frau als Hure geschaffen. Die Frau als Hure existiert innerhalb des objektiven und realen Systems männlicher sexueller Herrschaft“ (S. 140f)
Sie zieht aus der Tatsache, dass unter Pornographie „die Darstellung des Erotischen“ verstanden wird, den Schluss, dass
„…der wirkliche Spass bei der Sexualität an der Herabsetung von Frauen liegt. […] [Dies] belegt bloß, wie weit die Bewertung von Frauen als niedrige Huren verbreitet ist, und dass die weibliche Sexualität an sich als niedrig und verhurt angesehen wird“ (S. 241)
Wie weit verbreitet? Dworkin nimmt hier kein politisches Spektrum aus:
„Rechte und linke Männer fühlen sich der Prostitution als solche aufs tiefste verpflichtet […] Die Linke sieht die Prostituierte als die freie, öffentliche sexuelle Frau […] Die rechte sieht in der Prostitution die Macht der bösen sexuellen Frau, und dass der Mann sie benutzt, ist sein schmutziges kleines Geheimnis. Die alte Porno-Industrie war eine konservative, rechte Industrie: geheimer Sex, geheime Promiskuität, geheimes Kaufen und Verkaufen von Frauen, geheimer Profit, geheimes Vergnügen nicht nur am Sex, sondern auch am Kaufen und Verkaufen. Die neue Porno-Industrie ist eine linke Industrie: gefördert besonders von den Jungs der sechziger Jahre als einfaches Vergnügen, lustvoller Spaß, öffentlicher Sex, die Hure aus dem bürgerlichen [sic] Heim auf die Straße geholt zum demokratischen Konsum für ihre Männer. Ihre Freiheit, ihre freie Sexualität besteht darin, eine Hure zu sein – und sie mag es. Es ist sowohl ihr politischer als auch ihr sexueller Wille; es ist Befreiung. Das schmutzige kleine Geheimnis der linken Porno-Industrie ist nicht die Sexualität, sondern das Geld“ (S. 249)
Hieraus erklärt sich Dworkin zufolge die Bejubelung der Pornographen durch die politische Linke und das Framing von diesen als Helden der Arbeiterklasse. (S. 249) Dworkin bezeichnet aufgrund der Blindheit der politischen Linken für den Kapitalismus und die Ausbeutung in der Pornographie, diese als „Friedhof, auf dem die Linke begraben liegt“(S. 250):
„Wie nun kann man Rassismus bekämpfen und sich gleichzeitig damit einen runterholen? Die Linke kann nicht ihre Huren und ihre Politik gleichzeitig haben“ (S. 259)
Den Fetisch für Schwangerschafts-Prostitution und den Kampf gegen die Abtreibung hält Dworkin für logisch, dient doch die Schwangerschaft als Bestätigung dafür, „dass die Frau gefickt wurde“. Sie wird durch die sichtbare Schwangerschaft „als Hure markiert“ (S. 266):
„Ihr Bauch ist der Beweis, dass sie benützt wurde. Ihr Bauch ist sein phallischer Triumph. Sein Sieg darf nicht abgetrieben werden. Die rechte braucht ihren Beweis, ihren Triumph“ (S. 266)
Dworkin gelingt es die Auswirkungen von Pornographie auf alle Frauen deutlich zu machen. Sie schlussfolgert:
„Wir wissen alle, dass wir frei sein werden, wenn es keine Pornographie mehr gibt. Solange sie aber existiert, müssen wir begreifen, dass wir selbst die darin dargestellten Frauen sind: von derselben Macht benützt, derselben Bewertung ausgeliefert, wertlose Huren, die um mehr winseln.“ (S. 267)
Man kann nur erahnen was Andrea Dworkins Entscheidung hin- und nicht wegzuschauen, den Kampf aufzunehmen und deutlich zu sagen was ist, für sie persönlich bedeutet haben. Jede von uns, die schon einmal in Freierforen recherchiert hat, bei dem Versuch zu verstehen, was Prostitution bedeutet, bei dem Versuch hinter die Fassade der Euphemismen zu schauen, weiß wovon ich spreche.
Andrea Dworkin schließt ihr Buch über Pornographie mit den Worten:
„Die Jungs setzen auf unsere Fügsamkeit, auf unsere Ignoranz, auf unsere Angst. Wir haben uns immer geweigert, zu sehen, wie schlimm das ist, was Männer uns angetan haben. Damit rechnen die Jungs. Die Jungs setzen darauf, dass wir es nicht überleben würden, uns das ganze Grauen ihres Sexualsystems einzugestehen. Die Jungs setzen darauf, dass ihre Darstellung von uns als Huren uns so niederdrücken und erschlagen würde, dass unsere Herzen zu schlagen aufhören. Die Jungs setzen darauf, dass ihre Penisse und Fäuste und Messer und Ficks und Vergewaltigungen uns zu dem machen werden, was wir in ihren Augen sind – die fügsamen, sexuellen Frauen, die gefräßigen Votzen der Pornographie, die masochistischen Schlampen, die sich nur widersetzen, weil sie in Wirklichkeit mehr wollen. Die Jungs rechnen fest damit. Die Jungs haben sich verrechnet. (S. 267f)“
Als Feministinnen des 21. Jahrhunderts müssen wir uns an unsere feministischen Wurzeln erinnern. Wir müssen die Klassiker lesen, verstehen und dieses verschüttete Wissen wieder in Umlauf bringen. Denn nur darin liegt unsere Chance, dass Andrea recht behält und wir den „Jungs“ beweisen, dass sie die Rechnung ohne uns gemacht haben.