Vortrag zur Geschichte der Prostitution in Wiesbaden
Vortrag gehalten auf der Veranstaltung „Lust und Last. Prostitution in Vergangenheit und Gegenwart in Wiesbaden“ am 6. Oktober im Theater am Pariser Hof
Um ein gesellschaftliches Phänomen wahrhaftig greifen, fassen und verstehen zu können, empfiehlt es sich, sich diesem aus verschiedenen Perspektiven zu nähern.
In den vergangenen Jahren habe ich Prostitution als politische Aktivistin zunächst unter einem ökonomischen Blickwinkel betrachtet. Die erste Erkenntnis, die ich daraus ziehen konnte: Wir haben es heute mit einer milliardenschweren, kapitalistischen und global agierenden Ausbeutungs-Industrie zu tun, bei der es sehr vielen Akteuren daran gelegen ist, ihre Profite zu maximieren.
Diese Betrachtungsweise konnte mich jedoch nicht zufrieden stellen, erklärt sie uns doch nicht das Geschlechterverhältnis, welches in der Prostitution offensichtlich ist: Männer kaufen vor allem Frauen, manche Männer kaufen auch andere Männer. Die Zahl der Freierinnen wächst zwar, bleibt aber bis heute übersichtlich. Die feministische Erkenntnis lautet: Prostitution ist Ausdruck der patriarchalen Gesellschaft in der wir nach wie vor leben.
Feministische Analyse hilft uns auch dabei zu verstehen, warum nicht alle durch Armut und Rassismus ausgegrenzten Frauen gleichermaßen von der Prostitution gefährdet sind, sondern welch große Bedeutung dysfunktionalen Familienverhältnissen und Kindheitstraumata hierbei zukommt.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu, der in seinem Spätwerk „Die männliche Herrschaft“, aufbauend auf den feministischen Analysen der 1970er Jahre, dem Geschlechterverhältnis die zentrale Bedeutung für die gesellschaftliche Ordnung insgesamt zusprach, half mir dann dabei zu verstehen, mit welchen Mechanismen die Existenz der Prostitution dafür sorgt, die niedrigere Position ALLER Frauen in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten.
Aber auch der historische Blick auf Prostitution und die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Prostitution im Verlauf der Geschichte, kann uns wichtige, zusätzliche Erkenntnisse liefern. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als Dr. Thomas Weichel mir durch seine Anfrage zur heutigen Veranstaltung die Gelegenheit eröffnete, die Geschichte der Prostitution in meiner Wahlheimat Wiesbaden zu skizzieren. Das Wort skizzieren benutzte ich an dieser Stelle bewusst, denn weder bin ich Historikerin, noch wird mir in 15-20 Minuten mehr gelingen als einen groben Überblick zu liefern.
Prostitution hängt ja häufig der Mythos des „ältesten Gewerbes der Welt“ an. Historisch ist diese Aussage nicht haltbar – und selbst wenn, dann wäre „älteste Unterdrückung der Welt“ ein treffenderer Ausdruck.
Meine Betrachtung von Prostitution in Wiesbaden beginnt am Anfang des 19. Jahrhunderts: Aus der Frühphase des Wiesbadener Badewesens ist bekannt, dass die Zahl der prostituierten Frauen zunächst wesentlich zunahm und in den kommenden Jahrzehnten, in der Spielbanken-Ära sich erneut wesentlich steigerte. Der Wiesbadener Anzeiger berichtete im Mai 1866, dass die Spielbank „den allernachteiligsten Einfluss auf die Sittlichkeit der hiesigen Bevölkerung ausübe und die geschminkten Wesen die zurzeit tonangebenden Mächte des Kurhauses seien.“
Die Verknüpfung von Glücksspiel und Prostitution können wir übrigens bis heute gut nachvollziehen: Bordelle und Spielhallen sind häufig in enger räumlicher Nähe zueinander und viele Glücksspiel-Größen verdingen sich nachweislich gleichzeitig im Bordellbetrieb. Nach Bourdieu verwundert dies nicht, lautet seine Feststellung nämlich, dass gesellschaftliche Machtstrukturen insbesondere in der Konsum- und Freizeitsphäre reproduziert werden. Als 1899 in der Stadtverordnetenversammlung jedenfalls die Errichtung einer Pferderennbahn zur Debatte stand, sprach sich der liberale Stadtverordnete Viktor von Eck mit Verweis auf die „mißlichen Zustände“ der Spielbanken-Ära entschieden gegen diese aus.
Wenig öffentliche Beachtung hat bisher das Wirken von frauenbewegten Akteurinnen erhalten. Die nach Wiesbaden umgesiedelte Schriftstellerin Amely Bölte, die sich unter anderem im Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) engagierte, veröffentlichte 1882 ihren letzten Roman „Die Gefallene“, in dem sie treffsicher die herrschende Doppelmoral ihrer Zeit skizzierte und sich mit der aus Not entstandenen Prostitution auseinander setzte. Das Wiesbadener Tagblatt urteilte in einem am 17. November 1891 erschienenen Nachruf, dass sie mit diesem Werk ihre gute Reputation zum Teil zerstört habe und war der Meinung, dieses Buch solle keinem jungen Mädchen in die Hand gegeben werden.
Der Tabubruch der so genannten ersten Frauenbewegung bestand hauptsächlich darin, zum einen die Bedeutung der männlichen Nachfrage für die Existenz der Prostitution zum Thema zu machen. Zum anderen nahm sie die gesellschaftlichen Umstände in den Blick, die Frauen in die Prostitution trieben. Dies gefiel einer Gesellschaft, die Frauen in„Huren und Heilige“ einteilte und prostituierten Frauen angeborene Dispositionen zuschrieb, überhaupt nicht. Trotzdem gelang es der Frauenbewegung auch in Wiesbaden erfolgreich gesellschaftliche Debatten anzustoßen. So sorgte zum einen ein Vortrag der Sozialdemokratin Gertrud Guillaume-Schack in den 1880er Jahren für großes Aufsehen.
20 Jahre später gründete sich unter der Leitung von Ella Hagemann ein sehr umtriebiger Zweigverein der Abolitionistischen Föderation. Ella Hagemann hatte lange Jahre in England gelebt und war Mitglied einer Verbindung englischer Frauen, die unter der Führerinnenschaft von Josephine Butler, den Kampf gegen die Prostitution aufgenommen hatten.
Auf Bitten von Ella Hagemann sprach im Januar 1902, Anna Pappritz, eine der führenden deutschen Persönlichkeiten der Frauenbewegung, in Wiesbaden. Der angemietete Saal fasste 200 Personen, jedoch strömten etwa 400 interessierte Bürgerinnen und Bürger zur Veranstaltung. Die Mitgliedszahl des Zweigvereins verdoppelte sich umgehend und der Vorstand schrieb in der Vereinszeitschrift „Der Abolitionist“: „Wohl nirgends mehr als in Wiesbaden, der großen Kur- und Fremdenstadt, wo Genuß und Vergnügen eine so große Rolle spielen, treten die sittlichen Schäden der Gegenwart mehr zu Tage, und gerade hier sollte der Ruf nach Besserung solcher Zustände größeren Widerhall finden als sonst wo.“
Im Oktober desselben Jahres fand die 5. Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine im Kurhaus in Wiesbaden statt. Der damalige Oberbürgermeister Carl von Ibell begrüßte die Aktivistinnen im Namen der Stadt und unterstützte die Anliegen der Frauenbewegung ausdrücklich. Im Rahmenprogramm sprach erneut Anna Pappritz. Auch diesmal war das Interesse überwältigend, der große Saal des Viktoria-Hotels lange vor Veranstaltungsbeginn so überfüllt, dass „Hunderte wieder umkehren mussten“.
Auch in den kommenden Jahren, bis mindestens zum Ende des Ersten Weltkrieges, veranstaltete der Wiesbadener Zweigverein zahlreiche Veranstaltungen mit bundesweit führenden Rednerinnen und Rednern, erarbeitete politische Stellungnahmen und Petitionen und hielt das Thema dauerhaft in der Öffentlichkeit.
Gleichzeitig bemühten sich Polizeibehörden und Regierungspräsidium das Ausmaß der Prostitution in Wiesbaden kleinzureden und verwiesen auf die vergleichsweise geringe Anzahl von 50-60 behördlich kontrollierten prostituierten Frauen. Allerdings gab es bereits 1880 Stimmen, wie die von Johann Christian Glücklich, der in einem Aufsatz beschrieb, „dass die Prostitution auch hier wie anderwärts bereits in Fleisch und Blut der Bevölkerung einzudringen droht, dass sich einzelne Handwerker und Geschäftsleute nicht mehr schämen, aus dem schamlosesten, aus dem entwürdigendsten Gewerbe einen Nutzen zu ziehen, der es ihnen ermöglicht, ohne zu arbeiten, ein üppiges Wohlleben zu führen“.
Glücklich verwies auf den großen Umfang von nicht-registrierter Prostitution, die sich „mehr und mehr in der Mitte unserer Stadt, unserer Straßen, unserer Häuser, Wohnungen und Familien“ vollzöge. Der sozialdemokratische Stadtverordnete Martin Groll stellte 1905 fest, dass es eine „große Anzahl von Leuten gäbe, die wenn sie nicht gleich zur Halbwelt gehören, doch Beziehungen zu derselben haben“. 1908 machte dann auch die Rheinische Volkszeitung das große Geschäft mit der Vermietung von Wohnungen zu Prostitutionszwecken zum Thema.
Der Wiesbadener Bevölkerung machte Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere die Straßenprostitution, die sich vorzugsweise im Bereich des Kurwesens (Kurpark, Warmer Damm, Wilhelmstraße), aber auch in den Landhausvierteln, dem Westendviertel (insbesondere Wellritzstraße), der Langgasse oder der Oberen Webergasse abspielte zu schaffen. Öffentliche Beschwerden in Form von Eingaben, Stellungnahmen und Leserbriefen waren die Folge, so dass die Stadtpolitik sich zum Handeln gezwungen sah.
Unter Bürgermeister Vogt wurde 1898 durch die Stadtverordneten „das Ortsstatut zur Bekämpfung der der Gewerbsunzucht nachgehenden Frauenzimmer“ erlassen. Dieses untersagte Prostitution in unmittelbarer Umgebung von Schulen, Kirchen, Bahnhöfen und Kasernen, verpflichtete die Prostituierten Buch über ihre Freier zu führen und sich jeden Samstag im Krankenhauskeller zur Untersuchung einzufinden. Wer sich den Regeln nicht beugte, dem drohte die Einweisung ins Arbeitshaus.
Im Folgenden möchte ich kurz ein paar Worte zur Militärprostitution verlieren. Viele feministischen Autorinnen haben immer wieder die starke Verbindung von Krieg und Prostitution betont. Die Errichtung von Lager- und Soldatenbordellen durch die Nazis ist jedoch bis heute eher ein Randthema in der sonst so lebhaften Erinnerungskultur.
Aber die Nationalsozialisten standen hiermit nicht alleine. So wurde in Wiesbaden der Magistrat 1918 von der französischen Besatzungsmacht aufgefordert binnen zwei Wochen ein Militärbordell einzurichten. Ein Hotelier in Biebrich, dessen Betrieb beschlagnahmt war, wurde aufgefordert „die Angelegenheit diskret zu regeln“. Unmittelbar an den Biebricher Kasernen wurde ein Gasthaus mit Saalbau erworben, eine ältere Prostituierte erhielt den Auftrag eine Belegschaft von 20 Frauen zu beschaffen. Weitere Betriebe bestanden in der De-Laspè-Straße 4 und 6 und in der Schiersteiner Straße 68. Die englische Armee löste 1926 sämtliche Bordelle auf und verwies die prostituierten Frauen aus dem nunmehr englischen Besatzungsgebiet. Nach dem zweiten Weltkrieg führten jedoch die Amerikaner die Prostitutions-„Tradition“ fort: Prostitution blühte am „Happy Hill“ in Schierstein, ebenso wie in der Innenstadt im Walhalla oder dem Großen Atlantik: Für 40 Mark bzw. 9 Dollar kauften die Soldaten Sex von Frauen, die mit diesem Geld Familie und Kinder versorgten.
Auch die Nachkriegszeit war geprägt von großer öffentlicher Besorgnis um den Ruf der „Kur- und Kongressstadt Wiesbaden“. Noch bis Mitte der 1960er Jahre versuchte man den Prostituierten ihre Prostitution mit einer Verbringung in ein Arbeitshaus in Brauweiler / NRW auszutreiben. Nach der Verlegung des Straßenstrichs vom Stresemannring an die Friedrich-Ebert-Allee versuchte die Politik die BürgerInnen mit dem Erlass der ersten Sperrgebietsverordnung, die sich über die gesamte Innenstadt, das Kurviertel und die amerikanischen Siedlungen erstreckte, zu beruhigen.
Dies war der Hintergrund zur Etablierung des Prostitutionsmilieus in der Innenstadt rund um die Kleine Schwalbacher Straße. Da die Verordnung nicht die Vermietung von Wohnraum an Prostituierte verbot, tolerierte man unter dem Credo „lieber im Haus als auf der Straße“ die Entstehung von insgesamt drei Apartmenthäusern in der Kleinen Schwalbacher und Hochstättenstraße.
Die Zuhälter, die vorwiegend aus Süddeutschland und dem Ruhrgebiet agierten, tolerierte man städtischerseits, da diese „selbst für Ordnung“ sorgten. Die allgegenwärtige Gewalt in der Prostitution wurde dennoch sichtbar, als eine prostituierte Frau bei einer Messerstecherei in der Kleinen Schwalbacher lebensgefährlich verletzt wurde.
Der Ortsbeirat und die ansässigen Geschäftsleute in der Innenstadt forderten zunehmend die „Verbannung der Prostitution dahin, wo sie der anständige Bürger sie nicht mehr zu sehen braucht“. Unter Oberbürgermeister Rudi Schmitt wurde 1979 deshalb ein neuer Vorschlag für eine Sperrgebietsverordnung vorgelegt und durch das Regierungspräsidium genehmigt.
Parallel dazu hatte sich an der B 263 zwischen Mainz und Wiesbaden „Westdeutschlands berühmtester Landstraßen-Strich“ etabliert. Der damalige Polizeipräsident Dr. Ender ging äußerst repressiv sowohl gegen die prostituierten Frauen als auch gegen die Freier vor. Die Wiesbadener Zuhälter reagierten mit Leuchtraketen und Knallfrosch-Angriffen auf die Sittenfahnder. Von Zuhälter Gerhard „Amigo“ Menningen wurde auf den Kopf des Leiters der Sonderkommission, Oberkommissar Bonkowske, gar eine Prämie von 5000 Mark ausgesetzt.
Durch die neue Sperrgebietsverordnung wurde die sichtbare Prostitution in insgesamt 5 Toleranzzonen verbannt, die sich auf 12% des Stadtgebietes erstrecken, darunter das heutige Gewerbegebiet Petersweg West, damals noch grüne Wiese.
Versuche ein Prostitutionsmilieu in Bahnhofsnähe zu erschaffen, scheiterten am Protest dreier SPD Ortsverbände und einer Interessengemeinschaft der Anwohnerinnen der Gartenfeld- und Habsburger Straße. Der SPD-Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des SPD Unterbezirks Franz Gustav Beucker machte die Erweiterung des Sperrgebietes auf das Bahnhofsumfeld sogar zum Wahlkampfthema. Auf Antrag von Oberbürgermeister Georg-Berndt Oschatz wurde 1980 schließlich das Sperrgebiet auf seine noch heute geltende Fassung erweitert.
Während Stadt und Bordellbetreiber Schütz noch im Verwaltungsgerichts-Streit um die Räumung der Kleinen Schwalbacher Straße lagen, wurde der Zuhälter Mustafa Shikhane in einem Zuhälterstreit mit Klaus Gerhardt, der heute noch „Buchhalter“ in der Roten Meile ist, erschossen. Gerhardt sorgte 2014 bundesweit für Schlagzeilen, als er zum Schöffen am Wiesbadener Amtsgericht gewählt wurde.
Die Presse berichtete in der Folge von Verstrickungen von Shikhane mit Mitarbeiterin der Stadtverwaltung und der Ermittlungsbehörden und spricht von einer „brisanten Mischung zwischen Freundschaft, Kommerz und Erpressbarkeit“. Diese öffentlich gewordenen Verfilzungen führten 1986 zur Verurteilung des Ordnungsamts-Leiters Horst Seuffert, der Nachtclubkonzessionen gegen freie Bordellnutzung erteilte. Der Spiegel berichtete außerdem über weitere Seilschaften mit Polizei, Kommunal- und Landespolitik, sowie „einem Regierungsmitglied im Kabinettsrang“
Historisch wurde in dieser Zeit die Grundlage für die spätere Dominanz der Wohnungsbordelle in Wiesbaden gelegt. In einem Interview mit Heike Storch und Heidrun Schaaf-Rabel äußerte sich 1991 der damalige Bürgermeister und zuständige Ordnungsdezernent Hildebrand Diehl – später Oberbürgermeister – dahingehend, dass Prostitution „zu Städten und menschlichen Verhaltensweisen gehöre“, denn „irgendwo muss man(n) doch hin“, aber unsichtbar solle sie schon sein. 1991 waren 255 weibliche und vorwiegend deutsche Prostituierte beim Gesundheitsamt registriert.
Die „Arbeitsbedingungen“ in den Bordellen stellten sich nun wie folgt dar: 200 DM Tagesmiete plus 20-30 DM „Schutzgebühr“ für den Wirtschafter. Bei Krankheit waren 50% des Mietpreises zu zahlen. Die Frauen mussten durchschnittlich 10 Stunden am Tag arbeiten und wohnten auch im Bordell. Die Geschäftsführer der Bordelle schickten monatlich die Daten der Prostituierten an die Polizeidienststellen, die Frauen wurden durch die Wirtschafter kontrolliert, die Geld dafür erhielten, dass sie dem Zuhälter mitteilten, wie viele Kunden die Frau in der Schicht gehabt hatte.
Storch und Schaaf-Rabel kamen deshalb zu dem Schluss eines lückenlosen Kontrollsystems, welches ein Schutz- und Rückzugsgebiet für die organisierten Kriminellen schaffte.
Politisch war das Thema bis vor wenigen Jahren „tot“. Von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt etablierte sich die organisierte Wohnungsprostitution im gesamten Stadtgebiet, obwohl laut OLG-Beschluss eigentlich nur Einzelprostitution erlaubt gewesen wäre.
Zwei Frauen finden nach der Jahrtausendwende in Wiesbaden einen gewaltvollen Tod: Am 14. November 2007 wurde die 40 Jahre alte Polin Jolanta L. in der Kastellstraße 9 von dem 25 Jahre alten Zuhälter Piotr G. ermordet. Zwei Jahre später traf es die 32 Jahre alte Polin Iza Z., die in der Eltviller Straße 19 von dem 21 Jahre alten Freier Oliver G. ermordet wurde, weil sie den von ihm gewünschten Analverkehr abgelehnt, bzw. nicht zu seiner Zufriedenheit umgesetzt hatte.
Im Jahr 2014 schätzte die Ordnungsbehörde die Zahl prostituierter Personen in Wiesbaden auf 200-250. Eigene Recherchen haben ergeben, dass sich die tatsächliche Zahl jedoch eher zwischen 900 und 1000 bewegte. Zur Verdeutlichung: Das entspricht der Gesamtzahl von prostituierten Frauen in ganz Irland oder einem Drittel aller prostituierten Frauen in Schweden.
Etwa 90 Prozent der prostituierten Frauen heute verfügen nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit und stammen überwiegend aus Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. Die Bedingungen haben sich kaum geändert: Die meisten von ihnen müssen täglich Wuchermieten von 150-200 Euro für oft heruntergekommene Zimmer, in denen sie arbeiten und schlafen müssen, berappen. Das bedeutet, sie brauchen bis zu fünf Freier am Tag um überhaupt aus dem finanziellen Minusbereich herauszukommen. Das macht im Monat 60-100 Freier nur um die Miete zu zahlen.
2014 konnte nicht zuletzt durch Proteste aus der BürgerInnenschaft konnte der Bau eines hochpreisigen „Wellness-Tempels“ in Mainz-Kastel verhindert werden.
Im Zuge der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes unternahm die Wiesbadener Verwaltung große Anstrengungen all jene Behörden, die mit Prostitution in Berührung kommen, umfangreich zu schulen, so dass ein positiver Effekt eines ansonsten in vielerlei Hinsicht kritisierenswerten Gesetzes die Erhöhung der Fachlichkeit ist. Wie zuvor befürchtet entwickelt sich derzeit jedoch am Petersweg ein Rotlichtbezirk ähnlich dem Stahlgruber Ring in München.
Welche Erkenntnisse hat die historische Betrachtung von Prostitution in Wiesbaden für mich nun zu Tage gefördert?
Zum einen würde ich sagen, die lange gewachsene „Tradition“ der Wohnungsprostitution, die es seit vielen Jahrhunderten „normalen Bürgern“ ermöglichte sich relativ diskret einen Teil der Einnahmen aus der Prostitution zu sichern.
Eine eindeutige Konstante ist die Sorge um den Ruf der Stadt, bei gleichzeitiger Betonung der Unausweichlichkeit der Prostitution.
Hier lässt sich vielleicht auch der größte gesellschaftliche Wandel ausmachen: Während Ende des 19. Jahrhunderts die vor allem feministisch motivierten Akteurinnen um Amely Bölte und Ella Hagemann die einzige gesellschaftliche Gruppe waren, die die Existenz von Prostitution insgesamt in Frage stellte, findet die abolitionistische Position heute zunehmend Unterstützerinnen und Unterstützer aus allen politischen Lagern.
Seit wenigen Wochen scheint eine Mehrheit in den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD für das so genannte Nordische Modell, welches die prostituierten Frauen vollständig entkriminalisiert, die Freier und Zuhälter jedoch kriminalisiert und Bordellbetrieb verbietet, greifbar.
Gestern war der Internationale Tag „Nein zu Prostitution“, eine bessere Terminierung für diese Veranstaltung kann man sich kaum vorstellen. Vielleicht wird ja in einigen Jahren die historische Bedeutung von Visionärinnen wie Amely Bölte oder Ella Hagemann mit einer Straßen- oder Platzbenennung hervorgehoben.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen nun eine gute Diskussion.
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