Von „Menschenjagden“, „Blockwarten“, „Hurenhasserinnen“ und „Nazimethoden“: Eine Lektion in Doppelmoral

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„Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“ – Kurt Tucholsky

Kommentar zur Löschung einer Google-Karte mit dem Titel „Das Bordell Europas“

 

Adressen stehen im Netz – es sind die Adressen von Laufhäusern, von Bordellen, von „FKK-“ und „Saunaclubs“. Privatadressen sind keine dabei, Adressen, die nur über Telefonate zu finden sind, auch nicht. Vermerkt wurden sie auf einer Landkarte, die Interessierten die Möglichkeit gab, sich auch jenseits von Freierforen und Sexseiten über die Verbreitung dieser Prostitutionsstätten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu informieren. Die Landkarte ist voll, denn ja, Deutschland hat sich seinen Namen als Bordell Europas, als Bordell der Welt, redlich verdient.

Die Google Map sorgt in der „Sexarbeitsszene“ über deutsche Grenzen hinweg für Aufsehen: Deutsche Abolitionistinnen haben sich erdreistet, offen im Netz zugängliche Daten an anderer Stelle erneut öffentlich zu machen. Die Erstellerinnen der Karte wiesen ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den 2000 (anfangs 1600) Adressen nur um einen Bruchteil der Adressen handelt, weil bei einem nicht unerheblichen Teil die Adressen erst telefonisch erfragt werden müssen. Da keine Telefonate geführt wurden, gingen die entsprechenden Adressen oder Treffpunkte nicht in die Karte ein. Wozu auch? Um das Ziel der Karte zu erreichen – nämlich darzustellen, dass Prostitution in unserer aller Nachbarschaft stattfindet und eine Parallelwelt vor unserer aller Augen für die meisten unsichtbar existiert – sind diese weiteren Adressen nicht mehr nötig.

Obwohl also die Liste nicht ansatzweise vollständig ist, gibt es einen Sturm in den sozialen Netzwerken: Die Seite mit der Karte müsse gelöscht werden, denn sie gefährde die Sicherheit der Frauen (oder jungen Männer) in der Prostitution dort.

Dies erstaunt. Denn zweitens wird uns und allen immer wieder erzählt, dass die Sicherheit derer unmittelbar im Prostitutionsgewerbe durch die Öffentlichkeit der legalen Situation in Deutschland doch so besonders gut gewährleistet sei – im Gegensatz zum angeblichen Untergrund in Schweden. Und erstens stammen ALLE auf der Karte angegebenen Adressen aus offen im Netz zugänglichen Seiten. Sie wurden Werbeanzeigen, Freierforen und Sexseiten entnommen. Solche von Vertretern und Profiteuren der Sexindustrie erstellten Listen und Karten gibt es z.B. für JEDEN REGIERUNGSBEZIRK in Baden-Württemberg.

Aber genau hier liegt der Hase bzw. das Geld im Pfeffer: Prostitution, die Prostituierung von Frauen oder jungen Männern oder Transfrauen braucht ihre Parallelwelt. Sie soll in einem möglichst gut zu erreichenden, aber dennoch geschlossenen Milieu stattfinden, damit die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht hinschauen muss. Laut Udo Gerheim [1] zieht das eine bestimmte Gruppe von Freiern noch extra an, die sich dann einbilden können, trotz ihres absolut staatskonformen und privilegiensichernden Verhaltens an besonders interessanten und „verruchten“ Dingen beteiligt zu sein. Insgesamt soll jedoch die Mehrheitsgesellschaft hierzulande von dieser Welt und diesem Milieu nichts mitbekommen. Denn einen klaren und ethischen Blick auf Prostitution kann dieser Geschäftszweig nicht vertragen. Inzwischen zeigen sowohl europäische Entwicklungen, als auch die mediale Darstellung der Prostitution in Deutschland, dass hingeschaut wird; die hübschen Parties, auf denen Politikerinnen und Betreiberinnen mit Sekt anstoßen, sind (hoffentlich) vorbei. Entsprechend heftig war die Reaktion der Betreibenden dieser Bordelle und ihrer VertreterInnen und Verbündeten auf die Karte.

Merke: Bordelladressen, Laufhäuser, Terminwohnungen, auch Kleinbordelle auf Sexkaufseiten ist eine Sache – und offenbar völlig in Ordnung. Die absolut identischen Adressen auf einer Seite, die es Interessierten ermöglicht, sich mal ihre eigene Umgebung kritisch anzuschauen, wird zum Skandal.

Ja – es ist ein Skandal. Es sind Zahlen und Informationen, von denen sich die Profiteure der Industrie wünschen, sie würden schön in ihrer Parallelwelt, im deutschen Untergrund, bleiben.

Soweit die Situation. Nun zur Handlungsebene:

Nach der Panik in den entsprechenden Netzwerken werden die Erstellerinnen der Karte massiv verleumdet (Stasimethoden, Nazis, Hurenhasserinnen – nichts Neues dabei) und in allen möglichen Netzwerken wird zur Meldung der Karte aufgerufen. Natürlich nicht mit dem Kommentar, die Karte könne ein paar Behörden auf den Plan rufen oder Geschäfte stören. Es wird behauptet – wieder und wieder und wieder – auf der Karte stünden auch private Adressen und dies gefährde die Sicherheit der „Sexarbeiterinnen“. Diese würden nun erpressbar.

Abgesehen davon, dass die Gewalt in der Prostitution, Erpressung eingeschlossen, von den Freiern und von Zuhältern sowie solchen, die es werden wollen, ausgeht, abgesehen davon, dass sie ihre Erpressungen per Telefonanruf organisieren können (und leider vermutlich auch tun) – keine Abolitionistin hat bei irgendeiner dieser Nummer angerufen. Wir veröffentlichen auch keine privaten Adressen. Aber die Verleumdung sitzt.

Und die Propagandamaschinerie einer Industrie, die sich bisher auf staatliche Garantie ihrer Infrastruktur verlassen kann, sitzt ebenso wie die Manipulationsstrategien. Niemand möchte, dass Frauen oder andere in der Prostitution gefährdet sind. Daher die längst widerlegten Behauptungen, das schwedische Modell sei gefährlich wegen des „Untergrunds“ – das lenkt auch so schön von Deutschland ab, daher jetzt die Verlogenheit, mit der die Karte angegriffen wird: Eine prostitutionskritische Karte mit den Bordelladressen muss gelöscht werden, damit die gleichen Informationen auf Freier- oder Werbeseiten aufgehübscht an die richtige Zielgruppe gelangt und nicht ohne Dekoration vor den Augen einer immer informierteren Öffentlichkeit landen.

Aber die vorgebrachten Vorwürfe beeindrucken eben die netten Menschen, solche, die sich nicht näher mit Prostitution befassen wollen, die nicht wirklich hinter die Fassaden blicken, obwohl sie vielleicht längst eigentlich prostitutionskritisch sind. Die wirklich helfen wollen – und es könnten, würden sie endlich hinschauen und sich informieren. Die Wahrheit der Prostitution ist hässlich. Ihr nicht ins Gesicht zu sehen, ist schädlich. Nicht die Information darüber, das Leugnen darüber stützt die Gewalt.

Und eines wird durch die Kampagne und die Drohungen unserer GegnerInnen ja  mehr als deutlich: Die BefürworterInnen der Kommerzialisierung der sexuellen Gewalt wissen genau, was läuft. Sie wissen, was Prostitution für die darin prostituierten heißt.

Und ganz ehrlich – diejenigen, die auf die Verleumdungskampagne hereingefallen sind, wissen es offenbar auch. Also etwas Mut zur Wahrheit, bitte.

Wenn ihr es wisst, warum dann dieses System stützen?

Die Karte wurde nach organisiertem Massenmelden gelöscht. Ist damit die heile Welt der Prostitution, die heile Welt der Beziehungen und die heile Welt des Familienlebens, in denen niemand Prostitution nutzt, wieder hergestellt?

Unser Fazit:

Hilfreich war die Aktion allemal. Hilfreich, um mehrere Dinge deutlich zu Tage zu bringen:

Prostitution findet in Deutschland im Untergrund statt … und dort soll sie bitte auch bleiben

Das Wissen des Milieus über BetreiberInnen, Sexkäufer und organisierte Kriminalität soll BITTE nicht zum Allgemeinwissen werden. Denn dann könnte ja jemand merken, dass der Großteil der Prostitution nicht in den ausgeleuchteten Rotlichtvierteln hier und da stattfindet, sondern in so genannten Terminwohnungen (die im Allgemeinen übrigens mitnichten Privatwohnungen sind, sondern Gewerbeobjekte, in denen die Zimmer für teures Geld an meist wöchentlich wechselnde Frauen vermietet werden).

Ausgerechnet die Sexarbeits-Fraktion argumentiert nun massiv gegen ihre eigene mantrahaft vorgebrachte Behauptung „Legalisierung macht Prostitution sicher“

Wenn Menschen wissen, wo Prostitution stattfindet, dann bringt das die „Sexarbeiterinnen“ in Gefahr. Doch wen meinen sie nun damit: Die Frauen in der Prostitution? Oder die BetreiberInnen und ihre ProfiteurInnen – denn die nennen sich nämlich auch so, egal ob sie sich selbst prostituieren oder nicht.

Und wer schützt eigentlich die Frauen und Kinder in den Tausenden von Wohnhäusern, in denen sich eine Terminwohnung befindet?

Sollen wir mal anfangen zu erzählen von kleinen Kindern, die in Eiseskälte ohne Jacke im Hof oder im Auto abgestellt werden, während Papi mal eben zum Sexkauf ist – und die dann von besorgten NachbarInnen eingesammelt werden müssen?

Von kleinen Kindern, die fragen, warum sich da immer fremde Männer in ihrem Wohnhaus rumtreiben und was das für komische Geräusche sind, von denen sie nachts nicht schlafen können?

Oder von alleinstehenden Frauen, bei denen ständig – ganz aus Versehen – geklingelt wird, obwohl die Herrschaften eigentlich ein Stock höher oder tiefer wollten?

Von Frauen, die es aushalten müssen und brav sein müssen, wenn ihnen ein dreist grinsender Freier im Hausgang begegnet?

Wollen wir davon reden, wie viele Menschen nichtsahnend in solche Wohnhäuser einziehen, ohne eine Ahnung dessen, was sie später erwartet? Deren Wohnhäuser für jeden sichtbar auf Sexseiten im Internet gehandelt werden, ohne, dass sie irgend etwas dagegen tun können?

Wollen wir sprechen von AnwohnerInnen des Straßenstrichs, die täglich vor ihrem Fenster mit ansehen müssen, wie vor ihren Augen Frauen für den Rest ihres Lebens zerstört werden?

Wir sprechen gerne davon.

Und von der unerträglichen Doppelmoral der „Sexarbeits“lobby, bei der wirksam in Szene gesetzten Kampagne gegen unsere Arbeit. Denn siehe da, öffentliche Aussagen „unter Sexworkern“ hier und öffentliche Aussagen in den sozialen Medien dort passen manchmal nicht so ganz kongruent zusammen.

So gesehen zum Beispiel bei einem Vergleich der Facebook Auftritte mit Texten in sexworker.at forum. In dem einen Medium überschlägt man und frau sich öffentlichkeitswirksam über die Karte, im sexworker.at Forum unter ihresgleichen erscheint fast zeitgleich:

„In meinem Stadteil sind es zwei Saunaclubs und ein Appartmenthaus. Geschäftsadressen, die nun wirklich kein Geheimnis darstellen. 
Wenn die Nachbarn das noch nicht mitbekommen haben, sind sie blind, taub oder blöd. 
Die Adressen kann man doch aus jedem Anzeigenportal rauskopieren.“

Und auf den Sexseiten selbst wird regelmäßig um Infos zur Vervollständigung ersucht – ohne, dass dies bisher zum Gegenstand einer Aufregung wurde.

Nein, die Schuld an Gewalt und Missachtung menschlicher Würde tragen nicht Menschen, die auf das, was in diesem Land passiert, hinweisen und sich dafür engagieren, dass es beendet wird. Dass nicht mehr mitten unter uns die Ärmsten der Armen, oft rassistisch diskriminierte Minderheiten, ihre Körperöffnungen für die egoistische sexuelle Befriedigung und das Überlegenheitsgefühl und Anspruchsdenken deutscher und nichtdeutscher Männern zur Verfügung stellen müssen, weil wir sonst von ihnen nichts wissen wollen.

Diejenigen, die versuchen, dies zu vertuschen und Offensichtliches unter den Teppich zu kehren, tragen eine Mitverantwortung dafür.

So und jetzt liebe Sexarbeits-Lobby – froh ans Werk!

Im BW7-Freierforum finden sich seit vielen vielen Jahren (!) zahlreiche Google-Maps mit Terminwohnungen, die bisher vergeblich darauf warten, von euch gemeldet zu werden. Bitte hier entlang! So viel Arbeit wie ihr denkt, war die ganze Aktion nämlich gar nicht. Im Gegensatz zu den Sexkäufern, die tatsächlich (im Gegensatz zu den Initiatorinnen der „Bordell Europas“ Karte) Telefonnummern, unanonymisierte Fotos und umfangreiche Bewertungen ihrer Erlebnisse (Achtung: Hier findet ihr wirklich Hurenhass!) öffentlich zum Besten geben, haben wir uns bei der Karte tatsächlich auf die dort angegebenen Adressen beschränkt.

Vielleicht reicht ja ein Anruf oder eine E-Mail bei eurem Kumpel, dem Betreiber der Forums, dann braucht ihr diesmal auch keine internationale Unterstützung.

Und liebe engagierte MelderInnen in der Debatte: Bitte schaut endlich hin und informiert Euch endlich wirklich. Ihr seid einer miesen Kampagne auf den Leim gegangen.

Zusammengetragen von: Inge Kleine und Manuela Schon

[1] Gerheim, Udo: Die Produktion des Freiers. Macht im Feld der Prostitution. Eine soziologische Studie, 2012, Transcript Verlag

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