Bahnhofsviertelnacht Frankfurt – Wenn ein Rotlichtbezirk zum Freizeitpark wird

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Unter dem Titel „Ein Stadtteil öffnet sich“ luden die Stadt Frankfurt und die Tourismus-Congress GmbH der Stadt Frankfurt (die städtische Vermarktungsgesellschaft) dazu ein, dass Frankfurter Bahnhofsviertel kennenzulernen.

Diese „Bahnhofsviertelnacht“ im Frankfurter Bahnhofsviertel, bei welchem es sich auch um das traditionelle Rotlichtviertel handelt, findet seit 2007 alljährlich statt, so auch wieder am 8. September 2016.

Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) dazu:
„Die Bahnhofsviertelnacht zeigt die kulturelle Vielfalt, die Urbanität und Kreativität, die die Lebensräume im Bahnhofsviertel prägen. Mit den vereinten Kräften der Tourismus-Congress GmbG und des städtischen Presse- und Informationsamts bieten wir Ihnen auch in diesem Jahr einmal mehr die Möglichkeit unser Frankfurter Viertel kennenzulernen.“

Das Programmheft ließ schon Schlimmes erahnen, wimmelte es doch von Programmpunkten, die sich auf die Prostitutionsindustrie bezogen.

Für die Frankfurter Stadtevents führte Kunsthistoriker Christian Setzepfand durch das Viertel, u.a. unter den Titeln „Bahnhofsviertel Inside – Frankfurter Rotlicht, Lifestyle & Orient“, „Frankfurter Unorte – Die geheimen Schätze im Rotlichtviertel“ oder „Die Kaiserstraße – Flanieren zwischen Prunk und Porno“

Auch der Verein Doña Carmen bot Bordellführungen und Table-Dance-Schnupperkurse an (nur für Frauen) und veranstaltete in den eigenen Räumlichkeiten eine Informationsveranstaltung gegen das neue Prostituiertenschutzgesetz (aus der die Verfasserin dieses Artikels kurzerhand rausgeschubst wurde. Man erteilte mir „und allen die mit dieser Person etwas zu tun haben“ mit „RAUS!!!!“ kurzerhand Hausverbot und setzte es handgreiflich um. Die kritische Auseinandersetzung mit besagter Organisation gefällt wohl nicht). Erzählt wurde dort einer Besucherin zufolge das Übliche: Die Frauen arbeiten alle freiwillig und selbstbestimmt und mit großer Freude, Probleme mit fehlender Krankenversicherung gäbe es keine und das Sinnvollste sei es Prostitution einfach keinerlei Regelungen zu unterwerfen. Auf jegliche Nachfrage reagierte man aggressiv.

Ob Bordell, Druckraum für Drogenabhängige oder Bahnhofsmission: Beim „Tag der offenen Tür“ konnte jedeR der rund 40.000 BesucherInnen seinen/ihren Vojeurismus bedienen und einen Blick auf die Elendsverwaltung in einer der größten Metropolen Deutschlands werfen.

Befremdlich: Furchteinflössende Männer sorgten neben der Polizei für die „Sicherheit“ auf den Straßen. Obwohl die Straßen eigentlich gesperrt waren cruisten immer wieder Motorräder durch die Menschenmengen. Der Eindruck, es könne sich bei den Männern in den schwarzen Shirts um Hells Angels handeln, drängte sich auf (es ist kein Geheimnis, dass das Frankfurter Rotlichtviertel fest in der Hand der „Höllenengel“ ist). Wie auch immer – es muss erlaubt sein zu fragen, wer diese Typen als Sicherheitskräfte angeheuert (und bezahlt) hat.

Wenn die BILD berichtet „Zur Feier des Tages ist alles blitzeblank geputzt“ will man gar nicht wissen, wie es dort sonst so aussieht: Drogensüchtige auf den Straßen, die sich ihr Heroin spritzen, in den Bordellen lag ein widerlicher Geruch in der Luft, alles war heruntergekommen und eklig schmierig. Wer das Treppengeländer im Bordell anfasste, riskierte einen Hautausschlag.

Man könnte jetzt meinen, dass so eine Veranstaltung dem/der ein oder anderen die Augen über die Sexindustrie öffnen könnte. Der Eindruck war jedoch vielmehr im Gegenteil, dass eine solche Veranstaltung, wo jung und alt zwischen den Bordellen feucht-fröhlich feiert, mehr zur Normalisierung und Gleichgültigkeit beiträgt. Lauschte man so den Kommentaren der Menschen um sich herum, dann klang das alles sehr unkritisch. Eine Frau entdeckte im heruntergekommenen Bordellzimmer einen Schmetterling an der Wand und meinte „Very nice. Your room is very nice“. Dies lässt dann auch von der BILD zitierte Kommentare a la „Manche haben es ganz gemütlich, mit Kuscheltieren und so“ glaubwürdig klingen.

Die Frankfurter Rundschau zitiert eine 75 Jahre alten Besucherin:

„Wissen Sie, ich wollte immer schon ein Bordell sehen, wenn ich es jetzt nicht mache, wann dann? Ich wollte meine Nachbarn mitnehmen. Aber sie sind zu prüde, die trauen sich nicht mal in die Nähe des Bahnhofsviertels.“ Sie lacht und muss weiter. „Ich will noch den Tabledance-Kurs mitmachen.“

Geglückter Rotlichtromantismus als Freizeitspaß für Jung und Alt….

Tatsächlich fanden wir die Eindrücke aus unserem kurzen Besuch eher abstoßend und deprimierend: Man sah den Frauen an, wie unangenehm es ihnen war, zwischen gaffendem Publikum widerliche Freier zu bedienen (ein sehr ungepflegter älterer Mann kam just, als wir den Flur betraten, aus der Tür und machte demonstrativ langsam vor uns die Hose zu um sich dann ganz cool den Weg nach draußen zu bahnen). Wie wir später durch eine rumänisch sprechende Mitstreiterin erfuhren, wurden die Frauen vorher nicht einmal vorgewarnt, was sie an diesem Tag und späten Abend erwartete, was ihre ängstlichen und verstörten Blicke erklärte. Einige schlossen entnervt ihre Zimmertüren oder drückten gar den Alarm-Knopf. Auch vertraute eine prostituierte Frau unserer Bekannten an, dass sie von ihrem Ex-Freund in die Prostitution gezwungen wurde und genau wie viele andere junge Frauen nicht im Frankfurter Rotlichtviertel sein möchte.

Da die Frauen jedoch kein deutsch und nur sehr wenig englisch sprachen, blieben solche Informationen den meisten BesucherInnen verborgen. Diese bekamen nur ein aufgesetztes Lächeln und ein „alles schön“ zu hören, wenngleich auch die Rumänin, mit der wir sprachen, auf die Frage wie es ihr gefällt, betreten zu Boden schaute und dann ein „It’s ok for two days“ („Für zwei Tage geht es“) herausbrachte.

Für den Großteil der BesucherInnen war die Bahnhofsviertelnacht jedoch nur eins: Ein großer Spass. Wie der Ausflug ins Phantasialand oder auf den Ballermann.

Ein geglückter Rotlichtromantismus als Freizeitspaß für Jung und Alt…. dessen Bedingung darin liegt, die Betroffenen, die Frauen, die SpritzerInnen nicht als gleiche und gleichwertige Menschen mit den gleichen Zielen und Wünschen wie die Betrachtenden wahr zu nehmen.

Übrigens wird das Frankfurter Bahnhofsviertel gerade auch international sehr gehyped.

So schrieb der Guardian vor wenigen Tagen:

„Boring“ Frankfurt gets the party started… finally. The Bahnhofsviertel area is combining street parties, art and food with its traditional edginess and helping Germany’s business capital overcome its reputation as being full of bankers

(Das „langweilige“ Frankfurt startet die Party… endlich. Das Bahnhofsviertel kombiniert Straßenfeste, Kunst und Essen mit seiner traditionellen Unruhe und hilft der deutschen Wirtschaftshauptstadt ihre Reputation als Stadt voller Banker loszuwerden)

Und auch die New York Times titelte erst kürzlich „Raues Rotlichtviertel wird cool“.

Im Vorfeld der Bahnhofsviertelnacht gab es eine heftige Kontroverse um eine von der Stadt herausgegebene Imagebroschüre, deren Verteilung wenige Stunden vor der Veranstaltung gestoppt wurde. Die Texte wurden von Ulrich Mattner, dem frisch gewählten Vorsitzenden des Vereins „Treffpunkt Bahnhofsviertel“, einer Interessenvertretung für Gewerbetreibende in dem Quartier, erstellt. Kritik kam zunächst von der CDU (Michael zu Löwenstein kritisierte, die Stadt behandele Bordelle wie einen empfehlenswerten Restauranttipp.  Die Realität sei aber eine andere: „Die meisten der Frauen arbeiten nicht freiwillig als Prostituierte“), dann auch von SPD und Grünen im Frankfurter Römer an dem „rassistischen und frauenverachtenden“ Tenor der Broschüre, die mit rumänischen und bulgarischen „Mädchen“ warb . Mattner selbst führte Besucherinnen zwischen 19 und 22 Uhr durch das „Rote Haus“.

Robert Hahn vom Musikgeschäft Cream Music bringt es zusammenfassend sehr gut auf den Punkt, wenn er sagt: „Eigentlich gibt es hier im Viertel nichts zu feiern.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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