Feministische Selbstverteidigung erledigt die Band WOLF DOWN

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Vorgestern wurde eine anonym gehostete Seite online gestellt, in der zwei Frauen einen der Gitarristen der Hardcore-Band WOLF DOWN –  eine Band, die der linken und veganen Szene zuzurechnen ist – der sexuellen und emotionalen Gewalt bezichtigen. Ein altbekanntes Phänomen setzte alsbald ein. Der Rechtsstaat wurde beschworen und die Unschuldsvermutung für den mutmaßlichen Täter eingefordert. Es wurde gemutmaßt, dass ja nichts dran sein kann an den Vorwürfen, wenn die beiden betroffenen Frauen keine Anzeige erstatten, sondern sich nur anonym äußern. Es wurden Beweise eingefordert. Weil erfahrene Gewalt ja immer so einfach zu beweisen ist, nicht wahr? Auf die Idee, dass die Unschuldsvermutung auch für mutmaßliche Falschbeschuldigerinnen gilt, und viele Frauen gar nicht anzeigen, weil sie wissen wie gering ihre Chancen sind in einem – oftmals als entwürdigend empfundenen – Gerichtsverfahren Recht zu bekommen, kamen die wenigsten.

Die Zweifler waren in der Mehrzahl, erst als sich die Freundin eines weiteren Bandmitglieds öffentlich auf die Seite der Opfer stellte, kamen einige der Kommentatoren zum Verstummen. Sie schrieb unter anderem:

„Ja, er hat der Band vor zwei Wochen erzählt, dass ihm Vergewaltigung vorgeworfen wird … Ja, sie wussten es alle seitdem. Ja, Tommy ist vor zwei Wochen ausgestiegen deswegen. Nein, niemand der anderen zog Konsequenzen daraus. Ja, der Rest hat noch Shows geplant und wollte weiterhin Geld mit der Band verdienen. Sie warteten und hofften, dass die Wahrheit nicht heraus kommt. Ja, diesen Scheiß nennt man Solidarität mit dem Täter“

Und eine weitere Frau meldete sich zu Wort. Larissa, die bis 2014 den Gesangspart in der Band hatte, schrieb gestern abend in einem Facebook-Post:

„Ich habe WOLF DOWN vor 3 Jahren verlassen …. ich wollte nur noch dieser toxischen Umgebung, die in dieser Band entstanden war, entkommen. Ich habe Tobias und Sven als scheinheilige sexistische Arschlöcher mit einer kranken Einstellung zu Frauen kennengelernt. Die haben daraus nie ein Geheimnis gemacht und ganz offen Frauen objektifiziert, Fotos und Geschichten ausgetauscht. In den sieben Jahren, in denen ich mit Sven, dem Schlagzeuger, zusammen war, wurde ich auf verschiedene Weise Gewalt ausgesetzt. Das ging sogar nach der Trennung weiter. … Sven ist nicht der Feminist, der er vorgibt zu sein, er ist ein soziopathischer Patriarch durch und durch …“

Mehr als einen Tag ließ sich die Band Zeit um Stellung zu beziehen. Das schließlich veröffentlichte Statement von zwei Bandmitgliedern (Dave und Pascal) offenbart einige Probleme einer Band, die sich selbst als feministisch versteht.

1) Das Statement ist zum allergrößten Teil eine Stellungnahme des der sexuellen und emotionalen Gewalt bezichtigten Gitarristen. Eine Reflektion des eigenen Verhaltens als Personen im direkten Umfeld des Täters / der Täter, welches diese über Jahre durch Schweigen und Wegsehen gedeckt und im Weitermachen enabled haben, findet in keiner Weise statt. Die Aussage „Wir stehen den Opfern bei“ bleibt damit ein nicht ernstzunehmendes Lippenbekenntnis.

2) Im Statement des Gitarristen bezichtigt er sich selbst das Konzept des Konsens nicht genug berücksichtigt zu haben und erst zu spät erfahren zu haben, dass sie bereits vor ihm Opfer sexueller Gewalt geworden ist. Es folgen lange Ausführungen über asymmetrische Machtverhältnisse in heterosexuellen Beziehungen in einer patriarchalen  Gesellschaft, und dass er dies in seinem privaten Bereich nicht genug reflektiert habe und er dann nun einen Psychotherapeuten aufsuchen werden, damit er sein missbräuchliches Verhalten aufarbeiten kann, und zukünftig nicht mehr so kläglich beim konsensualen Sex scheitert.

Man vermisst mehrere Dinge, die eigentlich wichtig und notwendig gewesen wären, auch hier schmerzlich:

Wo bleibt die Ankündigung, dass er auch strafrechtlich für sich Konsequenzen aus seinen Taten ziehen wird, und mit einer Selbstanzeige den Weg zu einer juristischen Ahndung frei macht, ohne den Opfern zuzumuten vor Gericht erneut erniedrigt, gedemütigt und womöglich retraumatisiert zu werden?

Es fehlt die Reflektion darüber, dass es nicht nur problematisch ist, dass er für seine sexuellen Handlungen keine explizite Erlaubnis („Konsens“) eingeholt hat, sondern, dass vielleicht alleine schon die Tatsache aufgearbeitet gehört, dass sein eigenes sexuelles Vergnügen verknüpft ist mit der Ausübung von Gewalt. Wen gewaltvolle Sexualität erregt, der hat nicht nur ein Konsensproblem, sondern eben auch ganz grundsätzlich ein Gewaltproblem. Das ellenlange Statement des Gitarristen lässt jedoch jegliche Erkenntnis hierüber vermissen.

In Bezug auf letzteren Punkt fühle ich mich an einen Artikel aus der letzten Woche erinnert, in dem es um einen Vater ging, der jahrelang sexuell gewalttätig gegenüber seiner Tochter war. In dem Artikel heißt es:

„Der 50-Jährige habe das Kind mehrfach „derart gewürgt, dass das Gesicht der Geschädigten vor Atemnot rot anlief und anschwoll“, heißt es in der Anklage. In anderen Fällen habe er dem nackten Kind eine an der Zimmerdecke befestigte Schlinge um den Hals gelegt und fest zugezogen – „bis zur Atemnot“. Insgesamt werden ihm 22 Taten von 2007 bis Mai 2012 zur Last gelegt.“

Welches Problem unsere Gesellschaft hat, zeigt sich an dem Umgang der Richterin mit dem Täter, die gar kein grundsätzliches Problem in seiner sadistischen Neigung erkennen kann und sagte:

 „Ihre sexuelle Orientierung ist nicht strafbar. Strafbar ist, wie sie die auslebten. Warum Luisa? Warum keine Prostituierte, die darauf spezialisiert ist?“

Sprich: Sexuelle Gewalt gegen Frauen geht schon klar, solange sie nur die richtigen trifft. Dass Prostitution per definitionem die materielle Entschädigung von eigentlich nicht gewünschten sexuellen Handlungen ist, kam jener Richterin ebenfalls nicht in den Sinn.

Auch nicht, dass Menschen aufgrund von Gewalterfahrungen in der Vergangenheit oft gar keine Chance dazu hatten, eine gesunde eigene Sexualität zu entwickeln, und in der Sexualität häufig Traumata aus der Kindheit reinszeniert werden, ist im Konsens-Konzept nicht berücksichtigt, weshalb Catharine MacKinnon, wir veröffentlichten die Tage Auszüge aus einer ihrer Reden, richtig schlussfolgerte:

„Diese Bewegung übernahm Konzepte wie „Choice“ nicht. Denn sie wusste, dass wenn Zwang ein normalisierter Teil von Sex ist, wenn ein Nein als ein Ja betrachtet wird, wenn Angst und Verzweiflung Duldung produzieren und Duldung dann Konsens meint, dass Konsens kein bedeutungsvolles Konzept ist. …“

Wir müssen uns von diesen toxischen Konzepten, die unsere Lebensrealität im Patriarchat nicht ausreichend berücksichtigen, endlich lösen.

Und wir müssen anfangen mutmaßlichen Opfern zu glauben. Ihnen die gleiche Unschuldsvermutung zugestehen wie sie üblicherweise den mutmaßlichen Tätern zugestanden wird.

Wer erinnert sich eigentlich noch an die Hetze gegen die Ex-Frau von Schauspieler und Musiker Johnny Depp, Amber Heard, als diese mit Anschuldigungen von häuslicher Gewalt in die Öffentlichkeit trat? Wer erinnert sich, welche harten Reaktionen sie trafen? Wie man sie als „Goldgräberin“ und „Lügnerin“ diffamierte? Wie man ihr versuchte die Fälschung von Beweismitteln (Whats App Chats, Fotos, …)  zu unterstellen? Wie wir jeden Tag neue Medienberichte  lesen konnten, die ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel stellten?

Und wie viele Medien berichteten dann jetzt eigentlich noch, ein Jahr später, dass Depps Managament TMG nun in Gerichtsdokumenten einräumt von der Gewalt gegen Heard gewusst zu haben. Genau einen einzigen Artikel in deutschen Medien konnte ich darüber finden. EINEN!

Dass WOLF DOWN nach dem mutigen Outing (denn auch wenn das Statement anonym war, wussten die bezichtigen Tobias und Sven ja wer dahinter steht) durch die beiden betroffenen Frauen endlich Konsequenzen ziehen und die Band nunmehr Geschichte ist, ist ein Erfolg. Es bleibt zu hoffen, dass die Bandmitglieder noch anfangen ihr eigenes Versagen als Bystander zu reflektieren.

Der Text der beiden Betroffenen beinhaltete die Worte „feministische Selbstverteidigung“. Genau das ist es, was Andrea Dworkin meinte, als sie schrieb „Hey, Vergewaltiger, wir respektieren deine Privatsphäre nicht länger.“ In diesem Sinne: Respekt für euren Mut, Solidarität und einfach alles Gute für euch (und potentiell weitere Betroffene)!

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