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Rache am Patriarchat? Oder doch nur ein leises Rauschen im Blätterwald?

Manche Dinge lassen eine einfach immer wieder ratlos zurück. Aktuell geht es mir so mit einem Protest gegen den ungeheuerlichen Vorgang eines linken Festival-Mitveranstalters, der über Jahre hinweg weibliche Festivalbesucherinnen auf der Toilette und unter die Dusche heimlich gefilmt und diese Videos auf einer Porno-Plattform, XHamster, hochgeladen hat. Der Schock bei vielen jungen Frauen, die auf der Fusion oder Monis Rache waren, sitzt zu Recht tief: „Sind auch Videos von mir online, ohne dass ich etwas darüber weiß?“, „Wie finde ich raus ob ich betroffen und damit Opfer sexueller Gewalt geworden bin?“

Dass sich also Protest regt ist völlig nachvollziehbar. Über das WIE  kann man sich offenbar aber wie immer streiten. Zum einen ist da der Demo-Aufruf selbst, der vor Inkonsistenzen nur so strotzt. Das Demo-Motto lässt das bereits erahnen, lautet es doch: Rache am Patriarchat! My body is not your porn. Still <3ing my Choice“. Der erste Teil klingt radikal und scheint sich gegen die patriachalen Strukturen zu wenden, die Frauen sexualisieren und objektifizieren. Der zweite Teil lässt allerdings bereits erahnen, dass das große aber noch folgen wird. Und die Vorahnung bestätigt sich auch im folgenden Text. Dort heißt es:

Wir werden uns nicht aus öffentlichen Räumen zurückziehen, sondern wir wollen, dass sie sich verändern, damit wir uns wohl fühlen können. Alle Menschen sollen selbst bestimmen, ob und mit wem sie Sex haben möchten. Alle Menschen sollen selber bestimmen können, ob sie mit dem eigenen Körper oder erotischen Dienstleistungen Geld verdienen wollen. Kein Mensch soll sexualisierte Gewalt erleben.“

Dass die Pornokultur AN SICH bereits Grund dafür ist, dass ALLE Frauen ständig und immer wieder im privaten und öffentlichen Raum objektifiziert werden und sexuelle Gewalt erleben, scheint bei den Initatorinnen nicht angekommen zu sein. Studien zeigen eindeutig, welchen negativen Einfluss Pornokonsum auf das Verständnis von sexueller Gewalt auf Männer UND Frauen hat. Das zum einen. Feministische Analyse, nach der Pornographie gefilmte Prostitution ist, die Frauen zu Objekten degradiert (siehe zum Beispiel von Andrea Dworkin): Fehlanzeige. Und dann auch noch das Unvermeidliche: Sexuelle Übergriffigkeit von Freiern gegenüber prostituierten Frauen, wird mal wieder nicht als solche erkannt: Dass es per definitionem sexuelle Gewalt IST, wenn sich ein Freier Zugang zum Körper einer Frau erkauft, die ohne materielle oder andere Entschädigung, diesen an ihr oder ihn ihr durchgeführten sexuellen Handlungen nicht zugestimmt hätte, wird nicht erkannt. Eine Erwähnung empirischer Erkenntnisse, dass das „wollen“ der Ausübung „erotischer Dienstleistungen“ mit statistisch relevanten Zusammenhängen auf erlebten Grenzverletzungen beruht oder aufgrund finanzieller oder anderer Zwänge erfolgt: Findet nicht statt.

Ganz irritiert war ich dann über einen Spiegel-Artikel in dem es gefühlt in jedem zweiten Satz „Frauen und Queers“ hieß. Auch im Aufruf werden Frauen wieder mit undifferenziert mit der gesamten Buchstaben-Suppe in einen Topf geworfen und von „TYPEN“ (gemeint sind wohl als „Cis-Männer“ definierte Männer) abgegrenzt. Damit wird die besondere Betroffenheit von Frauen von Objektifizierung und Sexualisierung trivialisiert zu etwas, das andere gleichermaßen erfahren.

Ich bin wahrlich die letzte, die nicht anerkennen würde, dass bspw. auch Transfrauen in der Sexindustrie ausgebeutet werden: Bei der Dokumentation der Morde in der Sexindustrie auf Sex Industry Kills sind auch zahlreiche Transfrauen unter den Opfern und ihre Schicksale machen mich nicht minder betroffen. Das gilt genauso für die unzähligen Selbstmorde und Drogentode von homosexuellen Männern, die im Porno gedemütigt (und im übrigen häufig feminisiert) werden.

Die Lebensrealität von Frauen, die schon vom kleinen Mädchenalter an im Alltag sexualisiert und objektifiziert werden, bis hin zur Existenz von „Teenie-Bordellen“ ist dennoch nicht vergleichbar. Und Tatsache ist wohl auch, dass Frauen in weitaus größerem Maße Opfer von Spycam-Videos auf Pornoseiten sind.

Im Spiegel Artikel heißt es so auch zunächst „Hunderte Frauen und Queers sind nun möglicherweise beim Gang auf die Toilette bei “Monis Rache” oder beim Duschen auf dem “Fusion Festival” gefilmt worden.“. Da stellt sich zunächst die Frage was das für ein komischer Ausdruck sein soll, sind doch beispielsweise lesbische Frauen oder ein Teil der Transpersonen (nach unserer Auffassung Transmänner) AUCH Frauen? Unklar bleibt auch das tatsächliche Ausmaß der Betroffenheit von Personen, die nicht Frauen (im Sinne von sex) sind. Da würden mich dann doch mal konkrete statistische Angaben interessieren.

In  einem Taz-Interview wird dem Ganzen dann noch die Krone aufgesetzt, wenn eine Initatorin sagt:

„Solches Material ist als hidden camera oder non-consensual ein eigenes Genre auf solchen Plattformen. Das ist eine Kommerzialisierung, eine Verwertung von nichtmännlichen Körpern, die aufhören muss.“

Wir trivialisieren also nun nicht mehr nur Frauen, sondern unsere Körper sind nun auch noch nicht mehr Frauenkörper, sondern „nichtmännlich“. Na danke auch.

Und dann kommen wir doch mal zum problematischen Begriff des „nichtkonsensuellen Pornos“, der hier in diesem Kontext immer wieder auftaucht. Denn hier scheint es offensichtlich ein großes Problem zu geben, welches das ganze Dilemma mit dem „Konsens“-Konzept mal wieder auf den Punkt bringt. So heißt es zum Beispiel im Spiegel-Artikel:

„Es gibt freilich etliche “Hidden Camera”-Videos, die inszeniert sind, in denen die Darstellerinnen beim Arzt, bei der Massage oder bei einem Vorstellungstermin nur vermeintlich nicht wissen, was passieren wird. Um das Einverständnis der Abgebildeten zu überprüfen, könnten Betreiber aber zum Beispiel ganz einfach zur Bedingung machen, dass etwa ein zusätzlicher Clip hochgeladen wird, in dem die dargestellten Personen eine kurze Botschaft hinterlassen.“

Aha. Das heißt also: Wenn die sexuelle Gewalt in Form von Hidden Cam nur vorgetäuscht ist, darf man(n) sich völlig ungeniert dazu einen von der Palme wedeln? Genauso wie eben Gewaltporno in Form von BDSM-Handlungen oder „surprise anal“ (überraschender Analsex, also Analsex gegen den Willen der Frau) oder „surprise threesome“ (eine Frau mit verbundenen Augen, die ohne es zu wissen von einer dritten ihr fremden Person sexuell benutzt wird) eben kein Problem ist, sobald es eine kurze Botschaft der Betroffenen gibt, dass sie ja „freiwillig“ an diesen Handlungen partizipiert hat.

Die gesonderte Frage, was eigentlich diese (oft noch sehr jungen) Frauen machen sollen, wenn sie nach einigen Jahren diese Zustimmung bereuen und die Videos sehr gerne aus dem Netz getilgt haben würden lassen wir mal außen vor. Dass sich noch Jahrzehnte nach der Enthüllung der sexuellen Gewalt an Linda Boreman bei Deepthroat noch immer Millionen von Männern auf deren Vergewaltigung einen runterholen, hatten wir bereits thematisiert. Und im Übrigen: Solange Gewalt ein zentrales Element zeitgenössischer Sexualität ist, braucht auch niemand mit der künstlichen Trennung zwischen „Das ist nicht Sex, das ist Gewalt“ um die Ecke zu kommen, die man allenthalben in Debatten zu hören bekommt…

Protest und Aufruf sind nicht zu Ende gedacht, um nicht zu sagen völlig ignorant gegenüber der Lebensrealität von Frauen. Wer sich “am Patriarchat rächen will” und gegen Objektifizierung und Kommerzialisierung ist, kann sich nicht gleichzeitig explizit für kommerzialisierte Sexualisierung und Objektifizierung in Form von Porno und Prostitution aussprechen. Wer die vielfältigen empirischen Erkenntnisse zur Pornofizierung unserer Gesellschaft nicht zur Kenntnis nimmt oder nehmen will, dessen Kritik bleibt auf halber Strecke stecken. Wer möchte, dass Dinge wie auf den Festivals aufhören, muss die Ursachen erkennen und die Abschaffung der Sexindustrie mit all ihren Implikationen fordern und darf sie nicht – wie hier geschehen – unterm  Strich legitimieren.

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